Prinzipienvergessen und zu teuer – die Schwachpunkte der geplanten Grundrente

Guido K. Raddatz

Kernaussagen

  • Der von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil vorgelegte Entwurf einer Grundrente für langjährig Versicherte ohne eine Bedürftigkeitsprüfung kann nicht überzeugen. Im Instrumentenkasten der Sozialversicherungen wäre eine solche Grundrente ein systemwidriger Fremdkörper, der mit bewährten sozialpolitischen Grundprinzipien brechen würde.
  • Das Lebensleistungsprinzip ist schon immer ein tragendes Prinzip der gesetzlichen Rentenversicherung. Durch die Kopplung der Rentenzahlung an die während des Erwerbslebens geleisteten Beiträge (bzw. Einkommen), spiegelt die gesetzliche Rente in hohem Maße die „finanzielle Lebensleistung“ wider. Stockt die Gesellschaft die so erworbenen Rentenansprüche auf, um drohende Altersarmut zu bekämpfen, ist zumindest eine Bedürftigkeitsprüfung geboten, um eine Verteilung von ungerechtfertigten Rentengeschenken mit der „sozialpolitischen Gießkanne“ zu vermeiden. Letzteres würde mit dem Gleichheitsgrundsatz im sozialen Grundsicherungsnetz brechen und einmal mehr Ältere gegenüber jüngeren Armen privilegieren.
  • Schließlich würde eine Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung zu unnötig hohen fiskalischen Belastungen der Beitrags- und Steuerzahler führen. Aktuelle Berechnungen von Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen, Vorstandsmitglied der Stiftung Marktwirtschaft, zeigen, dass die Kostenschätzungen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales unrealistisch niedrig sind. Anstatt mit 3,8 Mrd. Euro im Jahr der Einführung wäre mit Kosten von rund 7 Mrd. Euro pro Jahr zu rechnen – bei steigender Tendenz im Zeitablauf.

Der von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil vorgelegte Entwurf einer Grundrente für langjährig Versicherte ohne eine vorgeschaltete Bedürftigkeitsprüfung kann nicht überzeugen. Im Instrumentenkasten der Sozialversicherungen wäre eine solche Grundrente ein systemwidriger Fremdkörper, der mit bewährten sozialpolitischen Grundprinzipien brechen würde. Hinzu kommt, dass es sich bei den Plänen um eine höchst zielungenaue, dafür aber umso kostspieligere Sozialpolitik mit der Gießkanne handelt, die zu einer erheblichen zusätzlichen finanziellen Belastung jüngerer und zukünftiger Beitrags- und Steuerzahler führen würde. Letzteres zeigen aktuelle Berechnungen von Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen, Vorstandsmitglied der Stiftung Marktwirtschaft und Leiter des Forschungszentrums Generationenverträge an der Universität Freiburg, auf die weiter unten genauer eingegangen wird. Zunächst aber einige Argumente, weshalb eine Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung gegen tragende Prinzipien des Sozialstaats verstoßen würde.

Das Lebensleistungsprinzip in der Gesetzlichen Rentenversicherung

Anders als von Bundesarbeitsminister Heil, der SPD und anderen Befürwortern einer Grundrente suggeriert wird, ist das Lebensleistungsprinzip – in Form des Äquivalenzprinzips – bereits ein tragendes Prinzip der Gesetzlichen Rentenversicherung. Durch die Kopplung der gesetzlichen Rente an den Einkommensverlauf bzw. die während des Erwerbslebens geleisteten Beiträge, spiegelt die gesetzliche Rente in hohem Maße die „finanzielle Lebensleistung“ wider. Die geplante Grundrente würde hingegen mit diesem Lebensleistungsprinzip brechen, da Beitragszahlungen unterschiedlich gewichtet würden: Einige Rentnerinnen und Rentner würden finanziell begünstigt werden, andere hingegen nicht, obwohl sie eine ähnliche oder sogar höhere Lebensleistung erbracht haben.

Der Gleichheitsgrundsatz in der Sozialen Grundsicherung

Das unterste Netz der sozialen Sicherung soll für Menschen in finanziellen Notlagen das soziokulturelle Existenzminimum subsidiär garantieren. Ein zentraler Grundsatz dabei ist, dass alle Bedürftigen unabhängig von ihrem Alter, ihrem Wohnort oder ihrem Geschlecht insoweit gleich behandelt werden, als dass der jeweils bestehende Regelbedarf, die Kosten der Unterkunft sowie ein ggf. bestehender Mehrbedarf vom Staat durch (pauschalierte) Zahlungen übernommen werden. Eine Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung würde diese Gleichbehandlung der Menschen im untersten sozialen Sicherungsnetz aufbrechen und ältere Arme gegenüber jüngeren Armen privilegieren.

Subsidiarität und Bedürftigkeitsprüfung

Der Sozialstaat basiert auf dem Grundsatz, dass der Einzelne im Rahmen seiner Möglichkeiten für seinen Lebensunterhalt erst einmal selbst verantwortlich ist. Sofern sein eigenes Einkommen oder Vermögen nicht ausreicht, greift die Gesellschaft bzw. der Staat unterstützend ein und garantieren das soziokulturelle Existenzminimum. Dieses Solidaritätsversprechen des Sozialstaats kann auf Dauer nur funktionieren, wenn es in beide Richtungen wirkt: Die Gemeinschaft unterstützt den Einzelnen, wenn er in eine Notlage gerät, und der Einzelne verhält sich so, dass er die gemeinschaftliche Solidarität nicht ausnutzt. Dieses Verständnis von Solidarität entspricht dem Subsidiaritätsprinzip und setzt im System der Grundsicherung eine Bedürftigkeitsprüfung voraus. Eine Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung würde bedeuten, dass auch Rentnerinnen und Rentner, die zwar eine niedrige Rente beziehen, gleichzeitig aber über hohe andere Einkünfte oder Vermögenswerte verfügen, ebenfalls in den Genuss der staatlichen Aufstockung ihrer Rente kämen, ohne tatsächlich arm und bedürftig zu sein. Mit einer solidarischen und zielgenauen Armutsbekämpfungspolitik hätte das nichts zu tun.

Generationengerechtigkeit und nachhaltige Finanzierbarkeit

Die Gesetzliche Rentenversicherung ist durch das Umlageverfahren als Generationenvertrag konzipiert und wird nur dann dauerhaft Bestand haben, wenn die zukünftigen Einnahmen ausreichen, um die zukünftigen Ausgaben zu decken. Aufgrund der zunehmenden Bevölkerungsalterung ist die derzeitige Situation in der Rentenversicherung allerdings fiskalisch nicht nachhaltig: Über kurz oder lang müssen entweder die Beiträge zur Rentenversicherung – ebenso wie die Steuerzuschüsse des Bundes – steigen,  das Rentenniveau sinken oder das Renteneintrittsalter weiter erhöht werden. Angesichts der Dimension des Problems wird es wohl auf eine Mixtur aus allen drei Lösungsansätzen hinauslaufen müssen.

Die Einführung einer Grundrente würde aufgrund der mit ihr verbundenen Mehrkosten die fiskalische Nachhaltigkeit der Gesetzlichen Rentenversicherung weiter schwächen – und zwar umso mehr, je großzügiger die zusätzlichen Leistungen ausfallen. Die angedachte partielle Steuerfinanzierung und der finanzielle Griff in andere Sozialversicherungszweige wie die Gesetzliche Krankenversicherung lösen die Probleme nur zum Schein, da sie an anderer Stelle zu Finanzierungsengpässen führen. Die junge Generation stärker zu belasten, um den heutigen Rentnerinnen und Rentnern weitere finanzielle Wohltaten zukommen zu lassen, hat mit Generationengerechtigkeit jedenfalls nichts zu tun.

Voraussichtliche Kosten der geplanten Grundrente

Umso wichtiger ist es, einen genaueren Blick auf die tatsächlichen Kosten der geplanten Grundrente zu werfen. Bundesarbeitsminister Heil und das von ihm geleitete Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) gehen von anfänglichen jährlichen Kosten der Grundrente von 3,8 Mrd. Euro aus, die bis zum Jahr 2025 auf 4,8 Mrd. Euro ansteigen werden. Insgesamt veranschlagen sie für den Zeitraum 2021 bis 2025 Gesamtkosten von rund 21,5 Mrd. Euro.

Abbildung 1:

Dass es sich bei diesen Summen allerdings eher um unrealistisch niedrige „Projektbewerbungskosten“ handeln dürfte, zeigen aktuelle Zahlen von Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen. Seinen Berechnungen zufolge entstünde bereits im Jahr der Einführung ein Finanzbedarf von jährlich gut 7 Mrd. Euro, der bis zum Jahr 2025 auf 8,3 Mrd. anstiege (vgl. Abbildung 1). Mit nominalen Gesamtkosten von rund 38 Mrd. Euro bis 2025 (als Barwert sind das etwa 34 Mrd. Euro) lägen die Kosten der Grundrente mehr als zwei Drittel über der offiziellen Kostenschätzung von 21,5 Mrd. Euro (vgl. Abbildung 2).

Abbildung 2:

Daher liegt der von Raffelhüschen geäußerte Vedacht nahe, dass im BMAS die Kosten der Grundrente kleingerechnet, ihre Finanzierung hingegen schöngerechnet wird. Beispielsweise würde die parallel geplante Absenkung des Beitragssatzes zur Gesetzlichen Krankenversicherung für Rentnerinnen und Rentner um 0,6 Prozentpunkte vordergründig zwar auch die Gesetzliche Rentenversicherung entlasten, da der Beitragszuschuss zur Krankenversicherung der Rentner sinkt. Sie führte aber gleichzeitig in der Gesetzlichen Krankenversicherung – gemäß Angaben des BMAS – zu Mindereinnahmen von rund 2 Mrd. Euro, die dort vor allem von den Jüngeren ausgeglichen werden müsten.

Und schließlich muss die Frage gestattet sein, wie die längerfristige Kostenentwicklung und ihre Finanzierung aussehen werden. Die Kostenschätzungen und Finanzierungspläne des BMAS reichen bei der Grundrente – wie schon beim in dieser Legislaturperiode bereits beschlossenen Rentenpaket (u.a. Mütterrente II, doppelte Haltelinien) – allerdings nur bis zum Jahr 2025, obwohl die Kosten dauerhaft anfallen werden (vgl. Abbildung 1 und 2). Damit beschränkt die Politik ihren Betrachtungszeitraum weitestgehend auf die Endphase einer demographischen „Schönwetterperiode“ und klammert die zentralen demographischen Herausforderungen, die entstehen, wenn die Babyboomer in Rente gegangen sind, weitestgehend aus. Das aber entspricht eher einer Sozialpolitik nach dem Sankt-Florian-Prinzip als einer verantwortungsvollen und vorausschauenden sozialpolitischen Strategie. Letztere würde die derzeitigen Pläne für eine Grundrente dem Reißwolf überlassen.