Wie stabil ist die Eurozone?

Prof. Volker Wieland Ph.D.

Kernaussagen

  • Der Euro holt gegenüber dem US-Dollar auf, Verbraucherpreise beginnen zu sinken. Damit stellen einige die Frage, ob die Inflationskrise überwunden und die Stabilität des Euros und der Währungsunion für die Zukunft gesichert ist.
  • Der politische Druck auf die Europäische Zentralbank (EZB) wächst, die Zinsen nicht weiter zu erhöhen. Zeitgleich sollen die europäischen Fiskalregeln aufgeweicht werden. Solange jedoch an der Tragfähigkeit der Staatsfinanzen in einigen Euro-Ländern gezweifelt werden muss, wären eine Lockerung der Geldpolitik und der Fiskalregeln fehl am Platz.
  • Um die Stabilität der Eurozone zu gewährleisten, sollte die EZB Kurs halten und die Zinsen weiter anheben. Die Fiskalregeln sollten zudem einfacher, transparenter und ihre Bindungswirkung erhöht werden, indem auch der diskretionäre Spielraum der Europäischen Kommission begrenzt wird.

Seit Januar 2021 hat der Euro gut 15 Prozent seiner Kaufkraft verloren. Bis Silvester 2023 dürfte der Verlust auf mehr als ein Fünftel seines Wertes steigen. Die Deutschen erwarten in den kommenden fünf Jahren eine Inflation von jeweils fünf Prozent, ermittelte die Bundesbank. Viele sorgen sich um die Zukunft der gemeinsamen Währung. Zu Recht? Gegenüber dem US-Dollar stürzte der Euro 2022 jedenfalls geradezu ab – im September erreichte der Kurs seinen Tiefpunkt, ein Dollar kostete 1,04 Euro. Die internationale Presse spekulierte schon über den „Kollaps“ des Euros.

Seither konnte die Gemeinschaftswährung einen Teil der Verluste wieder wettmachen, derzeit kostet der Dollar „nur“ noch rund 92 Cent. Das sind allerdings immer noch gut zehn Cent mehr als vor zwei Jahren. Das relative Erstarken des Euros dürfte nicht zuletzt auf die Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank (EZB) zurückzuführen sein. Bevor die EZB verspätet die Zinswende eingeleitet hat, war die wachsende Zinsdifferenz gegenüber den USA ein treibender Faktor für die Abwertung des Euros. Inzwischen hat die Zentralbank den Zinsabstand verringert – und EZB-Präsidentin Christine Lagarde signalisiert weitere Zinsanhebungen.

Darüber hinaus sind die Inflationserwartungen der Finanzmärkte deutlich optimistischer als die der Privatpersonen. Ist es also Zeit, Entwarnung zu geben? Kann man den Bürgerinnen und Bürgern versprechen, dass die Stabilität des Euros für die Zukunft gesichert ist, weil sich der Außenwert der Gemeinschaftswährung erholt hat und die EZB die Zinsen voraussichtlich weiter erhöhen wird?

Stabiles Geld erfordert stabile Finanzen

Leider nein: Zum einen hat der Dollar so wie viele andere Währungen massiv an Kaufkraft verloren, ein stabiler Wechselkurs würde also nur einen vergleichbaren Kaufkraftverfall des Euros bedeuten. Zum anderen reicht es nicht aus, dass die EZB ihren Auftrag erfüllen will, die Preisstabilität zu sichern. Um dieses Ziel zu erreichen, müsste die Fiskalpolitik dafür sorgen, dass die Staatsfinanzen auch bei deutlich höheren Zinsen langfristig tragfähig bleiben. Hier sind aber entschiedene Zweifel angebracht.

In der Euro-Zone wird die Fiskalpolitik, anders als etwa in den USA, vor allem auf der Ebene der souveränen Mitgliedstaaten gemacht. Jede der 20 Regierungen muss sicherstellen, dass die Staatsschulden künftig über höhere Steuereinnahmen oder ein geringeres Wachstum der Ausgaben finanziert werden können. Garant hierfür sollen vor allem die Maastricht-Kriterien sein, nach denen die staatliche Gesamtverschuldung in der Regel maximal 60 und die jährliche Neuverschuldung höchstens drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen dürfen.

Würden die Euro-Länder auf die Einhaltung dieser Grenzen hinarbeiten, hätte die EZB tatsächlich freie Bahn, alles Notwendige zu tun, um die Inflation auf zwei Prozent pro Jahr zu drücken. Doch das ist nicht der Fall. Schon im vergangenen Herbst stemmten sich etwa Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni gegen zu weitgehende Zinserhöhungen der EZB. Während so der politische Druck auf die EZB wächst, sind die Maastricht-Kriterien krisenbedingt seit 2020 ausgesetzt.

Die Fiskalregeln sollten gestärkt werden

Bis 2024 sollen die Fiskalregeln grundlegend reformiert werden. Das ist schon deshalb sinnvoll, weil die bisherigen Regeln übermäßige Defizite und steigende Schuldenquoten nicht verhindert haben, was vor allem am erheblichen Ermessensspielraum der Europäischen Kommission liegt. Statt Regelverstöße strikt zu sanktionieren, hat sie die Regeln sehr weit zugunsten der Staaten ausgelegt. Eine Reform müsste vor allem für eine bessere Einhaltung der Regeln und eine effektivere Begrenzung der Staatsverschuldung sorgen.

Tatsächlich aber droht das Gegenteil. Maßgebliche Politiker wie Macron drängen auf eine weitere Lockerung der Maastricht-Kriterien, um mehr Spielraum für ihre Ausgabenpolitik zu bekommen. Die Europäische Kommission plant, Ende April 2023 einen Gesetzesentwurf vorzulegen, der auf ihrem Vorschlag vom November 2022 aufbaut. Die Staatengemeinschaft soll dann zeitnah einen Konsens finden. Der Vorschlag sieht mit der Kommission auszuhandelnde, länderspezifische Fiskal- und Strukturpläne als Grundstein des neuen Regelwerks vor. So will sie den Mitgliedstaaten mehr Spielraum für ihren fiskalischen Anpassungspfad geben und verspricht, Abweichungen davon strikter zu begrenzen.

Im Lichte der bisherigen Erfahrungen ist absehbar, dass der neue Verhandlungsansatz noch weniger Erfolg haben wird, hochverschuldete Mitgliedstaaten auf Sparkurs zu bringen. Deshalb ist es richtig, dass sich das Bundesfinanzministerium robust in die Verhandlungen eingeschaltet hat und eine Aufweichung der Fiskalregeln bislang ablehnt. Es geht darum, die Stabilität des Euros und der Währungsunion zu sichern, und zwar ohne hohe Transfers zulasten der niedrig verschuldeten Staaten. Erforderlich dafür ist eine stärkere Bindungswirkung einfacher und transparenter Regeln – mit weniger statt mehr Einfluss der Europäischen Kommission.

Der Beitrag basiert auf dem Gastbeitrag „Was wird aus dem Euro?“ im Handelsblatt vom 28.01.2023