Finanzierungsneutralität im Steuerrecht: Lernen aus der Krise

Barbara Bültmann

Kernaussagen

  • In der Krise zeigen sich die Schwächen der deutschen Unternehmensbesteuerung.
  • Neben der beschränkten Verlustnutzung und den ertragsunabhängigen Elementen in der Besteuerung liegt insbesondere die steuerliche Behandlung der Eigenkapitalfinanzierung im Argen. Eigenkapitalkosten sind steuerlich – anders als Fremdkapitalkosten – grundsätzlich nicht abzugsfähig. So werden Anreize gesetzt, Unternehmen eher mit Fremdkapital auszustatten. In der Krise sind eine gute Eigenkapitalausstattung und Liquiditätsreserven jedoch für den wirtschaftlichen Fortbestand von Unternehmen von besonderer Bedeutung.
  • Die steuerliche Benachteiligung von Eigenkapitalfinanzierung trifft insbesondere neugegründete Unternehmen, denen aufgrund fehlender Sicherheiten oder geringem Cash-flow häufig keine Fremdkapitalfinanzierung zugänglich ist.
  • Die Einführung eines Abzugs kalkulatorischer Eigenkapitalzinsen oder vergleichbarer Regelungen würde diese Unwucht beseitigen, Anreize für eine bessere Eigenkapitalausstattung bieten und die Unternehmen dadurch auch für die Zukunft weniger krisenanfällig machen.

Die von der Corona-Pandemie und dem darauffolgenden (weltweiten) Lockdown hervorgerufene Krise trifft Bürger und Unternehmen hart. Angesichts der Bedrohung für die Gesundheit, der Notwendigkeit der Eindämmung der Infektion und dem Bedarf an finanziellen Hilfen, Zuschüssen, Krediten und sonstigen Hilfsmaßnahmen durch den Staat steht das Steuerrecht in der Krise nicht im Fokus. Dennoch ist gerade das Steuerrecht eine bedeutende Stellschraube. Das Maßnahmenpaket zur Soforthilfe für die unter der Coronakrise leidenden Unternehmen beinhaltet daher auch steuerliche Maßnahmen. Diese greifen jedoch deutlich zu kurz oder gehen – wie im Fall der Mehrwertsteuerabsenkung – in eine falsche Richtung.

Bei den steuerlichen Sofortmaßnahmen haben die getroffenen Regelungen im Wesentlichen zwei Stoßrichtungen: Zum einen gilt es, die Liquidität der Unternehmen in der Krise zu schonen, z.B. durch Herabsetzung von Vorauszahlungen oder Steuerstundungen, so dass angesichts einbrechender Umsätze nicht noch durch Steuerzahlungen zusätzlich Liquidität abfließt. Zum anderen soll den Unternehmen durch Zugeständnisse bei der Steuerbürokratie Erleichterung verschafft werden. Der Vorteil dieser steuerlichen Hilfen ist, dass es sich hierbei nicht um spezifische Vergünstigungen, sondern um branchenunabhängige und größtenteils rechtsformunabhängige Hilfen handelt. Darüber hinaus sind derzeit Erweiterungen beim Verlustrücktrag angedacht, die dringend ausgeweitet werden sollten, vor allem um die Liquiditätausstattung der Unternehmen über Steuererstattungen zu verbessern. Erweiterungen beim Verlustrücktrag haben – wie beim Verlustvortrag – zudem den Vorteil, dass sie zielgenau helfen können und nicht „Zombieunternehmen“ unterstützen, die auch außerhalb der Krise keine Gewinne erwirtschaften.

Diese Maßnahmen sind in der Krise vordringlich notwendig. Mittel- und langfristig gilt es jedoch, strukturelle Reformen in Angriff zu nehmen, um den Standort Deutschland wieder wettbewerbsfähiger zu machen. Denn die Krise zeigt deutlich die Schwächen des deutschen Unternehmenssteuerrechts auf. Seit der Unternehmenssteuerreform 2008 hat Deutschland, anders als andere Industrienationen, keine wettbewerbsstärkende Steuerreform unternommen, mit der Folge, dass der Steuerstandort Deutschland – nicht nur wegen der hohen Steuersätze, sondern auch wegen der veralteten Steuerstrukturen – im internationalen Vergleich zurückfällt. Für ein schnelles Erstarken der Wirtschaft nach dem Lockdown sind wettbewerbsfähige Strukturen jedoch unverzichtbar. Bemängelt werden in der Krise vorrangig Steuerstrukturen wie die beschränkten Verlustverrechnungsmöglichkeiten und die ertragsunabhängigen Elemente in der Besteuerung, die dazu führen, dass Unternehmen trotz handelsrechtlicher Verluste mangels Abzugsfähigkeit von bestimmten Kosten, steuerlich Gewinne ausweisen müssen, auf die sie dann Steuern zahlen.

Ein weiterer Kritikpunkt, der gerade in der Krise an Bedeutung gewinnt, ist die fehlende Finanzierungsneutralität. Im Wesentlichen wird zwischen drei Finanzierungsformen unterschieden: Finanzierung durch einbehaltene Gewinne (Eigenmittel), durch Eigenkapital oder durch Fremdkapital. Die Frage, wie diese einzelnen Kapitalbestandteile besteuert werden, beeinflusst die unternehmerische Entscheidung für die Finanzierungsstruktur.

Unter Finanzierungsneutralität der Besteuerung versteht man hingegen, dass die unternehmerische Entscheidung über die Finanzierungsstruktur (d.h. Eigenmittel, Eigenkapital oder Fremdkapital) von steuerlichen Überlegungen unbeeinflusst bleibt. Dies ist in Deutschland jedoch nicht der Fall, da die steuerliche Behandlung der drei Finanzierungsformen unterschiedlich ist:

  • Eigenmittel, d.h. die Finanzierung durch einbehaltene Gewinne, werden bei Kapitalgesellschaften im Wesentlichen durch die Ertragsbesteuerung auf Unternehmensebene (Körperschaft- und Gewerbesteuer) und ggf. Wertzuwachssteuern beim Kapitalgeber belastet. Bei Personengesellschaften sollte der § 34a EstG zu ähnlichen Ergebnissen führen, dies aufgrund der unnötigen Komplexität und Risiken der getroffenen Regelung jedoch nur mit sehr begrenztem Erfolg.
  • Eigenkapital, d.h. eine Beteiligungsfinanzierung durch Einlagen der Gesellschafter und Aktionäre, zeichnet sich durch eine fehlende Abzugsfähigkeit auf Unternehmensebene aus. Der Gewinn wird auf Unternehmensebene voll besteuert, bei einer Ausschüttung der Gewinne an die Kapitalgeber unterliegen diese beim Anteilseigner der Besteuerung.
  • Kosten für Fremdkapital, d.h. die Aufnahme von Krediten, sind steuerlich im Rahmen der geltenden Vorschriften (insbesondere der Zinsschranke) abzugsfähig auf Unternehmensebene. Die entsprechenden Zinserträge unterliegen lediglich auf Ebene des Kapitalgebers der Besteuerung.

In Deutschland war das Erreichen von Finanzierungsneutralität eines der angestrebten Hauptziele der Unternehmenssteuerreform 2008. Diesem Anspruch wurde die Reform jedoch nicht gerecht. Denn mit Einführung der Abgeltungssteuer wurden zwar der Zinsertrag und der Beteiligungsertrag beim Empfänger (sofern dieser der Abgeltungssteuer unterliegt) steuerlich gleichgestellt, allerdings sind Beteiligungserträge mit Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer vorbelastet. Zinserträge unterliegen auf Unternehmensebene hingegen regelmäßig nicht der Besteuerung, mit der Folge, dass die Beteiligungsfinanzierung, d.h. die Finanzierung über Eigenkapital, in Deutschland der höchsten steuerlichen Belastung unterliegt. Besser ergeht es der Finanzierung durch Eigenmittel – die zumindest bei Kapitalgesellschaften nur der Besteuerung auf Unternehmensebene unterliegt. Doch nicht jedes Unternehmen verfügt über ausreichend Ertrag, um weitere Investitionen intern zu finanzieren.

Die Unwucht bei der Besteuerung ist problematisch, da es für viele Investoren steuerlich attraktiver sein kann, Fremdkapital zu vergeben als Eigenkapital. In Krisenzeiten fehlt den Unternehmen dann allerdings unter Umständen eine stabile Eigenkapitalbasis und die Zinszahlungen wirken sich nachteilig auf ihre Liquiditätssituation aus.

Gleichzeitig werden viele Unternehmen steuerlich benachteiligt, nämlich diejeningen Unternehmen, denen Fremdfinanzierung auch in einem Niedrigzinsumfeld nicht oder nur zu erschwerten Bedingungen, d.h. schlechteren Konditionen, zur Verfügung steht. Dies betrifft insbesondere Unternehmen in Gründung oder innovative, aber risikoreiche Unternehmen, sei es mangels ausreichendem Cashflow, um Zinszahlungen zu bedienen, sei es mangels Sicherheiten oder ausreichender Bonität. Diese Unternehmen können regelmäßig auch nicht auf einbehaltene Gewinne zur Finanzierung zurückgreifen, so dass allein die Finanzierung über externes Eigenkapital möglich ist.

Die steuerliche Benachteiligung von Eigenkapitalfinanzierung kann zu Verzerrungen und Friktionen führen. Dabei wäre die Stärkung der Eigenkapitalbasis in Unternehmen von höchster Relevanz. In Krisenzeiten wären Unternehmen mit einer höheren Eigenkapitalquote resilienter und besser für Umsatz- und Einkommenseinbußen gerüstet. Eigenkapitalfinanzierung schont die Liquidität, da keine Zinszahlungen notwendig sind und Dividendenzahlungen ausgesetzt werden können. Kredite können hingegen – bei entsprechenden Voraussetzungen – fällig gestellt werden. Kreditgeber, in der Regel Banken, sind in ihrer Entscheidung, Zins- oder Tilgungszahlungen auszusetzen, nicht frei. Auch wenn viele Kreditgeber in der Krise sicher verhandlungsbereit sind, wirken sich Zahlungsverzicht oder Zahlungsaufschub wiederum auf den Cashflow des Kreditgebers auf. Banken als Kreditgeber haben zudem mit regulatorischen Anforderungen zu kämpfen, da z.B. notleidende Kredite anderen Eigenkapitalanforderungen unterliegen oder die Bonität der Bank an sich in Frage steht, wenn größere Kreditportfolios krisenbedingt uneinbringlich werden.

Vor diesem Hintergrund erscheint es äußerst fraglich, die steuerliche Bevorzugung von Fremdkapital gegenüber Eigenkapital weiter aufrecht zu erhalten. Die mit Einführung der Abgeltungssteuer nur unvollkommen erreichte Finanzierungsneutralität im deutschen Unternehmenssteuerrecht sollte dringend weiter vorangetrieben, der mit den Unternehmenssteuerreformen 2001 und 2008 eingeschlagene Weg sollte vollendet werden. Die Einführung eines Abzugs kalkulatorischer Eigenkapitalzinsen oder vergleichbarer Regelungen wäre geeignet, die Unwucht zu beseitigen. Der Kronberger Kreis und der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung haben sich bereits vor Jahren mit der Thematik auseinandergesetzt und Vorschläge zur Abhilfe unterbreitet. Die Herstellung von Finanzierungsneutralität würde darüber hinaus auch Anreize zu Steuervermeidung hinfällig machen und das Steuersystem insgesamt deutlich vereinfachen. Dies wäre angesichts der im internationalen Vergleich hohen Unternehmenssteuersätze in Deutschland wenigstens ein Anfang, im internationalen Steuerwettbewerb nicht weiter zurückzufallen.