Das Rührei des Kolumbus: Die GroKo-„Grundrente ohne mit“

Michael Eilfort

Kernaussagen

  • Die geplante Grundrente hilft vor allem der GroKo, beschenkt viele ohne echte Not und hilft nur wenigen Bedürftigen wirklich.
  • Ein wenig gutgemeinter Respekt für unterschiedliche Leistungsprofile innerhalb niedrigerer Lohnbereiche kontrastiert mit maximaler Respektlosigkeit gegenüber vielen, die mehr geleistet haben, keinen Grundrentenzuschlag, aber am Ende nicht mehr als „Grundrentner“ bekommen. Es entstehen mehr Gerechtigkeitslücken als bekämpft werden und eigene Anstrengung rechnet sich in vielen Fällen nicht mehr.
  • Ein weiteres Milliardengeschenk für die insgesamt bestgestellte Rentnergeneration aller Zeiten spricht der Generationengerechtigkeit Hohn und auch den Grundprinzipien des Sozialstaats: Wer Fürsorgeleistungen erhalten will, muss diese begründen und seine Bedürftigkeit offenlegen.

Es klingt so schön – eine neue „Grundrente“ soll Gutes bewirken. Damit will die Große Koalition eine weitere Sozialleistung schaffen, die Bürger mit geringer Altersversorgung unterstützen soll. Vor allem aber soll sie der Regierung selbst helfen: Erstens geht es um den Erhalt der GroKo, der inzwischen zum Selbstzweck verkommen ist. Zweitens glauben SPD und Teile der Union trotz aller anderslautenden Erfahrungen jüngerer Zeit immer noch, dass man mit frischem Geld neue Wählergunst erwerben kann.

Leider ist, was politisch Gewinn versprechen mag, fiskalisch allzu oft falsch. Dies haben 2014 und 2018 nicht zuletzt die teuren und das Ziel der Generationengerechtigkeit verhöhnenden Rentenpakete gezeigt. Und jetzt, da der ökonomische Himmel sich schon zu verdunkeln beginnt, soll eine neue dauerhafte strukturelle Belastung beschlossen werden? In der Konzeption der SPD und ohne die im sonst doch so heiligen Koalitionsvertrag vorgesehene Bedürftigkeitsprüfung kostete die Grundrente schon im Jahr der Einführung nicht die als Maßnahmenbewerbungskalkulation vom Minister genannten 3,8 Milliarden, sondern vielmehr 7 Milliarden Euro pro Jahr. Längerfristige Verhaltensänderungen durch Fehlanreize sind in dieser statischen Rechnung noch gar nicht berücksichtigt. Die nun nach Koalitionsausschuss vorgesehene Prüfung von laufenden Einkommen vor „Grundrenten“-Auszahlung würde diese Kosten reduzieren, trotzdem bliebe es bei geringer Zielgenauigkeit, vielen Mitnahmeeffekten und einer unverhältnismäßig hohen Gesamtrechnung.

Weitere „Kosten“ und sozialpolitische Verwerfungen wären zudem als Folge der de facto-Aufgabe zentraler Grundregeln unserer Sozialsysteme zu erwarten. Wer 35 angerechnete Beitragsjahre aufzuweisen hat (nicht zu verwechseln mit Einzahlungsjahren, da z.B. Kindererziehung berücksichtigt wird), aber wegen eines geringen Einkommens oder Teilzeitarbeit nur auf eine niedrige Rente kommt, soll pro Monat bis zu 450 Euro mehr und maximal 900 Euro im Monat von der Gesetzlichen Rentenversicherung erhalten. Das klingt vordergründig „leistungsgerecht“, weil derjenige mehr geleistet hat als andere in der Grundsicherung im Alter, die nie oder nur wenige Jahre tätig waren. Was aber soll der denken, der 35 Jahre bei gleichem Stundenlohn nicht Teilzeit, sondern Vollzeit gearbeitet hat und rund 900 Euro reguläre Altersrente bekommt, also nicht mehr als der nun dank Rentensubvention bessergestellte Halbtagsarbeitende? Oder derjenige, der nur auf 34 Beitragsjahre kommt, aber aufgrund eines etwas höheren Einkommens mehr Rentenversicherungsbeiträge eingezahlt hat, für die er nun weniger bekommt? Die Gerechtigkeitslücken, die zu bekämpfen die Große Koalition vorgibt, werden nur verschoben bzw. eher vergrößert. Dieser Verstoß gegen das Äquivalenzprinzip (Lebensleistungsprinzip), nach dem in der Rentenversicherung die Rentenauszahlung die Höhe der eingezahlten Beiträge widerspiegelt, schafft zudem erhebliche Fehlanreize: Viele, die sich auf eine Rente zwischen 450 und 900 Euro einstellen können, dürften bald die (Mehr-)Arbeit einstellen, weil sie mit halber Leistung und Grundrente den Betrag einfacher erreichen. Dazu kommt: Wo bisher von „Respekt“ für Lebensleistung die Rede war, ging es zuerst um Erwerbsarbeit, dann auch um anzuerkennende Kinder- und Pflegezeiten. Nun ist plötzlich auch von der Einbeziehung von Zeiten der Arbeitslosigkeit die Rede, die so mancher Wahlkämpfer fordert: Respekt auch fürs Nichtstun – deutlicher kann man kaum dokumentieren, dass die Grundrente kurz vor dem Grundeinkommen steht.

Schon der Begriff „Grundrente“ ist eine Mogelpackung, weil es sich bei dem Zuschlag nicht um eine durch eigene Leistung verdiente Rente, sondern um eine Fürsorgeleistung des Staates handelt. Eine zentrale Voraussetzung derartiger Fürsorgeleistungen ist aber, wie bei Hartz IV auch, eine Prüfung der Bedürftigkeit im Einzelfall. Wer diese aufgibt, verteilt mit der Gießkanne und ohne sinnvolle Wirkung auch Geschenke an nicht Bedürftige. Unser Sozialstaat beruht aber darauf, dass gemäß dem Subsidiaritätsprinzip der Einzelne nach seinen Möglichkeiten für sich sorgt und erst, wenn ihm dies nicht mehr gelingt, die Solidargemeinschaft hilft. Sozialleistungen, für deren Finanzierung deutsche Steuerzahler schon heute im internationalen Vergleich sehr hohe Belastungen akzeptieren, dienen im Bedarfsfall dem Lebensunterhalt, nicht der Erhaltung von Vermögen. Wenn statt einer echten Bedürftigkeitsprüfung nun – mit ebenfalls hohem bürokratischen Aufwand (von 5000 neuen Stellen bei der Rentenversicherung ist die Rede) – zwar das laufende Einkommen geprüft und über einen mehr oder weniger hohen Freibetrag angerechnet, Vermögen aber nicht berücksichtigt wird, sind Mißbrauch und Gestaltung Tür und Tor geöffnet. Wieso soll es eigentlich „respektlos“ sein, wenn diejenigen, die Hilfe in Anspruch nehmen wollen, ihre Vermögensverhältnisse so offenlegen müssen wie jeder Steuerzahler? Und wenn nun eine Sozialleistung ohne Einzelfallprüfung der Bedürftigkeit ausgezahlt würde, wieso nicht bald auch andere? Wollen wir auf dieser schiefen Ebene wirklich weitergehen, bis das bedingungslose Grundeinkommen da ist? Und dafür Leistung und Eigenverantwortung systematisch bestrafen, weil eine Überprüfung von anderen eigenen Einkommen bei einer subventionierten  „Rente“ – bisher wohlweislich auf die Witwen- und Waisenrente beschränkt – quasi herausfordert, dies auch bei der echten, durch Beiträge finanzierten Rente anzugehen? Der heutige Außenminister hat schon vor Jahren für die SPD geäußert, die durch eigene Leistung verdiente Rente sei nur „nach Bedarf“ auszuzahlen. Wer so denkt, zerstört jeden Anreiz zur Eigenvorsorge und jedes Vertrauen in die Rentenversicherung.

Der vom Koalitionsausschuss eingesetzte Arbeitskreis bewegt sich auf eine „Lösung“ zu, die als Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung von der SPD als ihre Wohltat angepriesen werden kann und gleichzeitig durch die Einkommensprüfung der Union gestatten soll, weiteren Gesichts- bzw. Profilverlust zu kaschieren. Dass die Bundeskanzlerin das Ganze nun zur Chefinnensache macht, lässt Schlimmstes befürchten: Ihr Handlungsmuster ist schon zu oft gewesen, teuer kurzfristige Ruhe zu erkaufen und auf entstehende Fehlanreize und Generationengerechtigkeit zu pfeifen. Das Ei des Kolumbus hat Schwarz-Rot mit dieser „Grundrente“ weder politisch noch in der Sache gefunden. Die „Grundrente ohne mit“ ist allenfalls das Rührei des Kolumbus. Gegen Altersarmut kann man Besseres tun als mit der Gießkanne wahllos umherzuziehen.