Michael Eilfort
Kernaussagen
- Laut dem Bundesarbeitsminister handelt es sich bei der sogenannten „Respektrente“ nicht nur um eine Frage von Anerkennung und Gerechtigkeit, darüber hinaus trage sie zur Bekämpfung von Altersarmut bei. Bei genauerer Betrachtung erweist sich dieser Vorschlag stattdessen jedoch als ineffizient, ungerecht und verantwortungslos.
- Die Mehrheit der Rentnerinnen und Rentner, die Grundsicherung erhalten, würden gar nicht von dieser Grundrente profitieren. Vielmehr würden auf EINEN wirklich Bedürftigen, der besser gestellt werden würde, VIERZEHN andere kommen, denen großzügig Respekt erwiesen würde, deren Bedürftigkeit jedoch weitaus geringer, fragwürdig oder überhaupt nicht vorhanden wäre.
- Das ist nicht nur respektlos, sondern auch ungerecht gegenüber der Mehrheit der Menschen in diesem Land: Gegenüber all den Bedürftigen, die knapp unter den 35 Beitragsjahren liegen oder knapp über dem Bedürftigkeitsniveau. Gegenüber den Steuerzahlern, die diese ungeprüfte „Respekterweisung“ finanzieren sollen, selbst jedoch gründlich vom Finanzamt durchleuchtet werden und vor allem gegenüber der jungen Generation, die letztlich für diese Politisierung der Sozialsysteme geradestehen muss.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will mit seiner sogenannten „Respektrente“ dafür sorgen, dass diejenigen, die ein Leben lang gearbeitet, Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt haben, im Alter deutlich besser abgesichert sind als diejenigen, die nicht oder weniger als 35 Jahre gearbeitet haben. Dies sei nicht nur eine Frage der Anerkennung und Gerechtigkeit, darüber hinaus würde damit die Altersarmut bekämpft. Das klingt vordergründig gut. Bei genauerer Betrachtung ist dieser Vorschlag allerdings ineffizient, ungerecht und verantwortungslos.
In Deutschland beziehen ca. 3 Prozent der Menschen im Alter Grundsicherung. Das sind etwa 544.000 Bedürftige, die diese bedarfsorientierte Sozialleistung zur Sicherstellung des notwendigen Lebensunterhalts vom Staat erhalten. Aus dieser Gruppe würden – je nach Schätzung – zwischen 130.000 und 200.000 Menschen von Heils Grundrente profitieren. Diese Menschen würden damit tatsächlich ein wenig mehr Respekt für ihre Lebensleistung erfahren, was ihnen sicherlich zu gönnen wäre. Die „Respektrente“ wäre jedoch kein effizientes Instrument, um Altersarmut zu bekämpfen. Die Mehrheit der Rentnerinnen und Rentner, die Grundsicherung erhalten, würde gar nicht von der Grundrente profitieren, da sie die notwendigen 35 Beitragsjahre nicht aufweist. Alle anderen mit einer Rente unter 896 Euro im Monat, die mindestens 35 Jahre gearbeitet haben, dürften sich über einen Rentenzuschlag von bis zu 448 Euro monatlich freuen. In diesen Genuss würden ca. drei bis vier Millionen jetziger und zukünftiger Rentnerinnen und Rentner kommen – völlig unabhängig davon, ob sie überhaupt bedürftig sind oder nicht. Herr Heil empfände es vielmehr als respektlos, zu prüfen, ob Vermögen, Versorgungsverträge, Immobilien oder eine ausreichende Absicherung durch den Partner besteht. Das heißt de facto, dass mit dem Grundrentenvorschlag des Bundesarbeitsministers auf EINEN wirklich Bedürftigen, der besser gestellt wird, VIERZEHN andere kommen, denen großzügig Respekt erwiesen wird, obwohl die Bedürftigkeit weitaus geringer, fragwürdig und bei vielen überhaupt nicht vorhanden ist – ohne hier die vielzitierte Zahnarztgattin weiter ins Feld führen zu wollen.
In Wahrheit geht es gar nicht um bedürftige Rentnerinnen und Rentner. Es geht um bedürftige Parteien und in erster Linie um die Landtagswahlen im Herbst. Deshalb sollen möglichst viele Wähler – deren Mehrheit bald über 55 Jahre alt sein wird – beglückt werden, damit sie auf Kosten der Steuer- und Beitragszahler wohlgestimmt das Kreuz an der richtigen Stelle machen. Das ist nicht nur respektlos, sondern auch ungerecht gegenüber der Mehrheit der Menschen in diesem Land: Gegenüber all den tatsächlich Bedürftigen, die in ihrem Leben viel gearbeitet haben, aber knapp unter den 35 Beitragsjahren liegen oder deren Rente etwas über dem Bedürftigkeitsniveau liegt. Respektlos gegenüber allen – vom Finanzamt aufs gründlichste durchleuchteten – Steuerzahlern, die die großzügige Respekterweisung von Herrn Heil finanzieren sollen, ohne dass geprüft wird, ob die Empfänger überhaupt darauf angewiesen sind. Unfassbar respektlos schließlich ist Heils Grundrentenvorschlag gegenüber der jungen Generation, die letztlich dafür geradestehen muss, obwohl sie aufgrund der demographischen Entwicklung ohnehin schon große Lasten schultern muss. Eine Bürde, die ihr durch die Rentenpakete 2014 und 2018, die die Umverteilung von Jung zu Alt immer weiter auf die Spitze treiben, sowieso schon zusätzlich erschwert wurde.
Mit der so genannten „Respektrente“ wird die Politisierung der Sozialsysteme weiter vorangetrieben: Statt zentrale Prinzipien der sozialen Sicherung (Äquivalenz, Solidarität, Subsidiarität), Leistungsgerechtigkeit, Transparenz und den Grundsatz der Gleichbehandlung zu beachten, werden Vergünstigungen nach Gutsherrenart verteilt, die sich bei dieser Grundrente nach manchen Schätzungen auf bis zu 11 Milliarden Euro belaufen könnten. Dabei ist noch nicht berücksichtigt, dass neben den massiven Streuverlusten und Mitnahmeeffekten aufgrund der geringen Zielgenauigkeit des Instruments auch massive Fehlanreize zu erwarten sind, die langfristig weitere Kosten verursachen: Bei geringem und mittlerem Lohn wird es sich noch häufiger für die Beschäftigten mehr lohnen, Teilzeit statt Vollzeit zu arbeiten, als dies heute schon der Fall ist und auch die Frühverrentung wird wieder attraktiver, wenn Geringverdiener nach 35 Jahren Beschäftigung mit der „Respektrente“ kalkulieren können. Im Hinblick auf den unvermeidlichen Rückgang der zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte, der uns aufgrund des demographischen Wandels bevorsteht, führt das in die völlig falsche Richtung.
Stattdessen sollte man zuallererst einmal die Kirche im Dorf lassen: Wir haben eine Rentnergeneration, der es so gut geht, wie noch keiner anderen zuvor. Das relative Altersarmutsrisiko für über 65-Jährige liegt bei 13,7 Prozent. Bei Menschen unter 18 Jahren liegt es hingegen bei 21 Prozent und bei Arbeitslosen bei 58 Prozent. Der überwiegenden Mehrheit der Rentner geht es gut. Auch wenn jede Ausnahme ein tragisches Schicksal ist, besteht kein Grund in Panik zu geraten und völlig unverhältnismäßig – und höchst ineffizient – Milliarden an Steuer- und Beitragsgeldern aufzuwenden. Klüger wäre es, zukünftige Altersarmut durch nachhaltige Investitionen zu vermeiden: in Bildung, Qualifikation sowie digitale und auch teilweise analoge Infrastruktur. Gut ausgebildete Menschen verdienen mehr und können so auch besser fürs Alter vorsorgen.
Für die Menschen, deren Rente am Ende eines langen Arbeitslebens trotzdem nicht reicht, mag eine Grundrente eine Möglichkeit sein – aber nicht respektlos bedingungslos, sondern mit einer Bedürftigkeitsprüfung, so wie es im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD vereinbart wurde. Dadurch würde für eine kleine Gruppe etwas mehr Leistungsgerechtigkeit gelten, die dies sicherlich auch verdient hätte. Allerdings gäbe es durchaus bessere – und wahrscheinlich auch gerechtere – Möglichkeiten, dies zu tun, wie beispielsweise über höhere Freibeträge. Diese würden deutlich gezielter wirken, als wenn man für jeden tatsächlich Bedürftigen, dem mit der „Respektrente“ zu Recht geholfen werden würde, gleich vierzehn andere mit beglückt, die darauf zum größten Teil gar nicht angewiesen sind. Selbst im Wahlkampf sollte ein so eklatantes Missverhältnis schleunigst zum Umdenken führen.