Die „Mini-Digitalsteuer“ ist auch keine Lösung

Barbara Bültmann / Fulko Lenz

Kernaussagen

  • Der aktuelle Kompromissvorschlag Deutschlands und Frankreichs zur Erhebung einer „Mini-Digitalsteuer“ auf Online-Werbeerträge ist wenig sinnvoll.
  • Die zu erwartenden Steuereinnahmen sind gering und dürften kaum die Erhebungskosten übersteigen. Zudem ist die Steuer nicht dazu geeignet, eine gerechtere Besteuerung von Erträgen aus digitalen Geschäftsmodellen zu erreichen. Tatsächliche Besteuerungsunterschiede in Europa beruhen teils auf gezielter Förderung, teils auf der Systematik internationaler Besteuerung.
  • Statt Symbolpolitik zu betreiben, sollten die Akteure zu einer evidenzbasierten Politik zurückkehren und dabei insbesondere die tatsächlichen Besteuerungsunterschiede unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsentwicklung analysieren.

Deutschland und Frankreich haben einen (hoffentlich) letzten Versuch zur Rettung ihrer Idee einer Digitalsteuer bzw. Digital Service Tax (DST) unternommen. Im Gegensatz zum ursprünglichen Konzept einer umfassenderen Digitalsteuer, welches auf breite Ablehnung gestoßen ist, beschränkt sich der nun vorliegende Vorschlag auf die Besteuerung von Umsätzen aus Online-Werbeerträgen. Der Systematik der bisherigen Vorschläge folgend, wäre damit nur noch die nutzerdatenbasierte Platzierung von personalisierter Werbung auf digitalen Schnittstellen betroffen. Diese stark abgespeckte Digitalsteuer soll zwar zeitnah beschlossen werden, jedoch nur in Kraft treten, wenn vor dem 1. Januar 2021 keine andere internationale Lösung gefunden wird und soll zudem zeitlich begrenzt sein.

Den Vorteil dieser „Mini-Digitalsteuer“ könnte man im Vergleich zu den ursprünglichen Vorschlägen (siehe Kurzinformation) darin sehen, dass die Erträge aus Online-Werbung vermeintlich leichter abgrenzbar sind. Allerdings dürfte die Unterscheidung von Erträgen aus personalisierter Werbung zu Erträgen aus nicht-personalisierter Werbung dennoch zu Schwierigkeiten führen. So stellt sich beispielsweise im Kontext von Suchmaschinen die Frage, ob eine nicht auf Basis eines Nutzerprofils, sondern lediglich auf Basis von gesuchten Schlagworten geschaltete Werbeanzeige bereits als personalisierte Werbung gilt. Zu Gunsten der überarbeiteten Pläne ließe sich allenfalls argumentieren, dass der Kollateralschaden für die Digitalwirtschaft aufgrund der engeren Bemessungsgrundlage geringer ausfallen dürfte. Das von der EU-Kommission geschätzte Steueraufkommen von 800 Millionen Euro aus der EU-weiten Besteuerung von Werbeerträgen dürfte nach Verteilung auf die 28 bzw. 27 Mitgliedstaaten kaum die jeweiligen Erhebungskosten übersteigen. In jedem Fall bleibt steuerpolitischer Unfug auch in geringerer Dosierung Unfug, zumal das Risiko von Gegenmaßnahmen anderer Staaten (namentlich der USA, auf deren Unternehmen die Digitalsteuer erkennbar ausgerichtet ist) in Form von Zöllen und einer weiteren Eskalation im internationalen Handelsstreit unverändert bestehen bleibt. Den beschworenen echten Durchbruch stellt die „Mini-Digitalsteuer“ daher wohl nicht dar.

Vielmehr wird immer deutlicher, dass man die selbsterklärte Zielsetzung einer „gerechteren“ Besteuerung der Digitalwirtschaft endgültig vollends über Bord geworfen hat. Schon die von ausufernder Rhetorik begleiteten ursprünglichen Vorschläge sollten „himmelschreiende Ungerechtigkeiten“ ausgleichen. Tatsächlich setzten sie jedoch nur an einem pauschal unterstelltem Steuergefälle zwischen digitalen und nicht-digitalen Unternehmen an, das auf der Zweckentfremdung von Zahlen beruht, die für die Identifizierung eines solchen Gefälles explizit ungeeignet sind. Mit der Fokussierung auf Werbeerträge wird nun ein spezifisches Geschäftsmodell herausgegriffen und mit einer Steuer belegt, die völlig unabhängig davon ist, ob das betroffene Unternehmen tatsächlich zu wenig Steuern auf seine Gewinne zahlt oder überhaupt Gewinne erzielt. Neue Verzerrungen und Ungerechtigkeiten im Besteuerungsgefüge wären die Folge.

Wer als Steuerungerechtigkeit anprangert, dass gewisse Unternehmen in Europa zu wenig Steuern zahlen, muss eingestehen, dass dies größtenteils an der Systematik der internationalen Besteuerung liegt, die keine bzw. nur unter bestimmten Voraussetzungen eine Besteuerung von Erträgen in Absatzmärkten vorsieht. Die Umsatzbesteuerung hingegen erfolgt grundsätzlich in den Absatzmärkten. Möchte man nun daran, dass Ertragsbesteuerungsrechte im Wesentlichen den Ländern zustehen, die die Produkte konzipieren, etwas ändern, bedarf es in der Tat einer internationalen Lösung, zum Beispiel einer Verlagerung der Besteuerungsrechte hin zu den Absatzmärkten. Dabei muss man bedenken, dass Deutschland zwar möglicherweise Steuereinnahmen aus digitalen Dienstleistungen ausländischer Unternehmen hinzugewänne, jedoch – als Exportnation – auch erhebliche Steuereinnahmen aus bislang in Deutschland besteuerten Gewinnen, zum Beispiel der Automobilindustrie, verlieren könnte.

Soweit den europäischen Staaten Besteuerungsrechte zustehen, ist die geringe Besteuerung bestimmter Geschäftsmodelle größtenteils Ausdruck gezielter steuerlicher Förderung des jeweiligen nationalen Digitalstandorts. Diese Fördertatbestände sind in den europäischen Staaten sehr heterogen ausgestaltet. Einige der lautesten Befürworter der Digitalsteuer argumentieren daher ausgesprochen doppelzüngig, wenn sie zur Förderung der Ansiedelung digitaler und innovativer Unternehmen signifikante Steuervorteile in Form einer üppigen steuerlichen Forschungsförderung und eines Patentboxregimes einführen und gleichzeitig öffentlichkeitswirksam eine Strafbesteuerung digitaler Unternehmen fordern. Damit würde auf nationaler Ebene die zugrundeliegende Förderung konterkariert und auf europäischer Ebene der Digitalstandort insgesamt geschwächt. Es würden insbesondere die Länder getroffen, die keine weitreichenden Steuervorteile gewähren. Im Interesse Deutschlands, dessen Steuersystem bislang weder eine steuerliche Forschungsförderung noch eine Patentbox kennt, kann eine derartige steuerliche Zusatzbelastung demnach nicht liegen. Zumal das deutsche Steuerrecht zum Beispiel aufgrund mangelnder Finanzierungsneutralität für die in der Regel stärker eigenkapitalfinanzierten, innovativen oder neugegründeten Unternehmen ohnehin nachteilig sein kann. Solange Steuerpolitik und insbesondere Maßnahmen, die sich auf den internationalen Steuerwettbewerb auswirken, im Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten liegen, sollte man die Einführung steuerpolitisch fragwürdiger Steuern auch den Nationalstaaten überlassen und so verhindern, dass die negativen Folgen populistischer Symbolpolitik andere Mitgliedstaaten allzu sehr treffen.

Aufgrund des engen Fokus auf Online-Werbeerträge hätte die neue Digitalsteuer allenfalls den Effekt einer Lenkungssteuer. Eine solche Steuer dient dem Ziel, das Verhalten der Steuerpflichtigen in eine bestimmte Richtung zu lenken. Doch die Erzielung von Einnahmen aus digitalen Geschäftsmodellen über Online-Werbung stellt kein per se unerwünschtes Verhalten dar. Zwar waren die Geschäftspraktiken gerade der von der Steuer hauptsächlich betroffenen Unternehmen Facebook und Google in letzter Zeit in der Tat starker Kritik ausgesetzt. Dies betrifft jedoch eher Wettbewerbsaspekte, den Umgang mit Daten oder zielt auf aggressive Steuervermeidungsmodelle ab. All dies rechtfertigt jedoch nicht eine pauschale Bestrafung von werbebasierten Online-Diensten. Dies stellt schließlich eine weitverbreitete Form der Monetarisierung digitaler Angebote dar, die die aus Konsumentensicht kostenlose oder stark subventionierte Bereitstellung und Fortentwicklung unzähliger digitaler und innovativer Dienste erst ermöglicht.

Im Ergebnis dient die Neuauflage der Digitalsteuer also weder der Einnahmenerzielung, noch der Herstellung von Steuergerechtigkeit, noch verfolgt sie einen sinnvollen Lenkungszweck. Es wäre daher wünschenswert, wenn die Akteure des Streits um die Digitalsteuer im Rahmen der angestrebten Gespräche auf internationaler Ebene wieder zu einer evidenzbasierten Politik zurückkehren würden. Hierzu gehört eine ehrliche Bestandsaufnahme der tatsächlichen Besteuerungsunterschiede zwischen digitalen und nicht-digitalen Geschäftsmodellen unter Einbeziehung einer sorgfältigen Analyse der Konsequenzen aus jüngsten Entwicklungen wie der BEPS-Initiative der OECD oder der US-Steuerreform. Erst dann ist ein weiteres international abgestimmtes Vorgehen möglich. Der Schwerpunkt europäischen Handelns sollte in der Zwischenzeit statt auf Abschreckung digitaler Innovation auf der Stärkung der Attraktivität des digitalen Standorts liegen. Nicht umsonst sind einige der erklärten Gegner der Digitalsteuer diejenigen Länder, in denen die Digitalisierung bereits weit fortgeschritten ist, wie Schweden, Finnland und Dänemark.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Zum Spamschutz lösen Sie bitte folgende Rechnung: *