Bund und Länder sollten gemeinsam Verantwortung für die Schulbildung tragen

Berthold U. Wigger

Kernaussagen

  • Zentral für eine Beteiligung des Bundes an der Finanzierung der Schulbildung ist, in welchem Umfang die gesellschaftlichen Erträge der Schulbildung lokal, regional oder national anfallen.
  • Nationale Bildungsstandards, die zentral definiert und durchgesetzt, aber dezentral von öffentlichen und privaten Bildungsanbietern erfüllt werden, tragen zu einem besseren und faireren Wettbewerb in der Schulbildung bei und schränken den Wettbewerbscharakter des Föderalismus nicht ein.
  • Die geplante Änderung von Artikel 104c GG, durch die der Bund sich stärker an der Finanzierung der Schulbildung beteiligt, ist zu begrüßen. Allerdings ist sie unzureichend: Der Bund sollte sich dauerhaft und ohne sachliche Beschränkung an der Finanzierung der Schulbildung beteiligen.

Durch Änderung des Artikels 104c GG soll es dem Bund ermöglicht werden, die Länder finanziell bei Investitionen in die kommunale Bildungsinfrastruktur zu unterstützen. In der Tat sollte der Bund eine Rolle in der Finanzierung und Steuerung der Schulbildung übernehmen. Diese Rolle geht allerdings über eine Beteiligung an der Finanzierung der kommunalen Bildungsinfrastruktur hinaus. Zentral für eine Beteiligung des Bundes an der Finanzierung der Schulbildung ist die Frage, wo die gesellschaftlichen Erträge der Schulbildung anfallen. Eine solche Beteiligung muss keine Schwächung des Wettbewerbs im Bildungsföderalismus bedeuten – der Wettbewerb kann sogar gestärkt werden.

Erträge der Schulbildung fallen lokal, regional und national an

Gute Bildung führt zu einer Vielzahl von Erträgen. Neben privaten Erträgen (z.B. höhere Einkommen, schönere Jobs, bessere Gesundheit, größere Selbstbestimmung und ganz allgemein mehr Lebenszufriedenheit) entstehen umfassende gesellschaftliche Erträge. Eine bessere Bildung der Bevölkerung führt z.B. zu verantwortungsvoller demokratischer Willensbildung, mehr öffentlichen Gütern wegen höherer Steuereinahmen, weniger Arbeitslosigkeit, geringeren öffentlichen Gesundheitsausgaben, besserer Forschung, größerer Standortattraktivität und weniger Kriminalität. Dabei fallen die verschiedenen gesellschaftlichen Erträge der Bildung in unterschiedlichem Maße lokal, regional und national an. Größere Standortattraktivität und weniger Kriminalität beispielsweise materialisieren sich lokal und regional, höhere Steuereinahmen teilen sich Bund, Länder und Gemeinden über das steuerliche Verbundsystem und den Finanzausgleich, geringere Ausgaben in den Sozialversicherungssystemen fallen auf der Bundesebene an.

Erträge, Kosten und Kompetenzen sollten nicht auseinanderfallen

Gute (ökonomische) Entscheidungen setzen voraus, dass Erträge, Kosten und Entscheidungskompetenzen möglichst zusammenfallen. Entsprechend sollten dort, wo Erträge geteilt werden, auch Kosten und Kompetenzen geteilt werden. Die gegenwärtige grundgesetzliche Regelung einer fast ausschließlichen Finanzierungsverantwortung der Länder für die Schulbildung trägt dieser sehr fundamentalen Voraussetzung für gute Entscheidungen in der Schulbildung nicht angemessen Rechnung. Weil ein Teil der gesellschaftlichen Bildungserträge auf der nationalen Ebene anfällt, sollte sich der Bund auch an den Kosten der Bildung beteiligen und zudem an der Ausgestaltung und Steuerung der Bildung mitwirken. Andernfalls entsteht das Problem, dass zu wenig von öffentlicher Seite in die Schulbildung investiert wird. Diese Problematik sei anhand eines zugespitzten Beispiels illustriert: Ein Land weise im Ländervergleich geringe Leistungen seiner Schüler auf.[1] Als Konsequenz haben die Schulabgänger dieses Landes einen vergleichsweise schlechten Zugang zum Arbeitsmarkt. Die daran gekoppelten höheren arbeitsmarktpolitischen Ausgaben (Arbeitslosengeld, Grundsicherung etc.) trägt nicht das Land bzw. die Steuerzahler in diesem Land, sondern der Bund bzw. die Gemeinschaft der deutschen Steuer- und Beitragszahler. Entsprechend ist der Anreiz des Landes, sein Schulsystem zu verbessern, zu gering ausgeprägt.

Fiskalische Externalitäten und Trittbrettfahrerverhalten

Technisch gesprochen kommt es bei einer ausschließlichen Länderverantwortung für die Schulbildung zu sogenannten fiskalischen Externalitäten zwischen Bund und Land, weil die Entscheidungsträger in den Ländern insbesondere die nationalen Erträge und Kosten der Schulbildung nicht voll in ihr Entscheidungskalkül einbeziehen (internalisieren). Neben fiskalischen Externalitäten zwischen Bund und Land entstehen bei einer ausschließlichen Länderverantwortung für die Schulbildung fiskalische Externalitäten zwischen den Ländern. Diese rühren daher, dass Schulabgänger zwischen den Ländern mobil sind. So eröffnet beispielsweise eine in einem einzelnen Land erworbene Hochschulzugangsberechtigung den Zugang zur Hochschulbildung in allen Ländern. Für das einzelne Land mag deshalb ein Anreiz entstehen, die Kosten der Schulbildung auf die anderen Länder abzuwälzen, indem es verstärkt Schulabgänger aus anderen Ländern attrahiert statt mehr in die eigene Schulbildung zu investieren. Dieses sogenannte Trittbrettfahrerverhalten der Länder im Föderalstaat kann durch eine Beteiligung des Bundes an der Schulbildung beseitigt oder zumindest abgeschwächt werden.[2]

Wettbewerb zwischen Bildungsanbietern stärken

Gegen eine stärkere Beteiligung des Bundes an der Schulbildung wird gelegentlich eingewandt, dass dadurch der Wettbewerb zwischen den Ländern, sprich der Wettbewerbsföderalismus, geschwächt werde. In der Tat kann Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften zu einem besseren Angebot an öffentlich bereitgestellten Gütern beitragen. Damit der Wettbewerb zwischen den Ländern aber seine wohlfahrtsfördernde Wirkung im Bereich der Schulbildung entfaltet, ist ein entsprechender Ordnungsrahmen notwendig. Zentrales Element eines solchen Ordnungsrahmens sind messbare nationale Bildungsstandards, die die Schulbildungssysteme in den Ländern erfüllen müssen und die am besten auf nationaler Ebene kontrolliert werden. An solchen Standards mangelt es in Deutschland bislang. Jedes Land hat eigene Standards entwickelt, die zu großen Unterschieden in den schulischen Anforderungen zwischen den Ländern geführt haben. Unterschiedliche Anforderungen an Schulleistungen erschweren aber einen Vergleich der Schulabschlüsse zwischen den Ländern. Dabei ist Vergleichbarkeit der Leistungen im Wettbewerb eine entscheidende Größe. Dort wo sie fehlt, wird der Wettbewerb behindert. Tatsächlich hat der deutsche Bildungsföderalismus zu einem Ergebnis geführt, das aus Gütermärkten mit einer überschaubaren Anzahl von Wettbewerben bekannt ist. Dort wählen die Wettbewerber sogenannte horizontale Differenzierungsstrategien („anders sein als die Wettbewerber“), um die Intensität des Wettbewerbs abzuschwächen. Die mangelnde Vergleichbarkeit der Schulleistungen zwischen den Ländern ähnelt einer horizontalen Differenzierung. Sie führt zu einer Schwächung des Wettbewerbs, weil sich schlechtere Schulpolitiken nur schwer von besseren Schulpolitiken unterscheiden lassen. Entsprechend werden schlechte Schulpolitiken nicht ausreichend sanktioniert.

Wie sollte der Wettbewerb in der Schulbildung ausgestaltet werden? Zunächst sind messbare und durchsetzbare nationale Standards zu definieren (z.B. Beginn und Dauer der Schulpflicht, Anzahl der Jahre bis zum Abitur, deutschlandweit zentrale Abiturprüfungen, normierte Standards in Kernfächern wie Mathematik, Sprachen und Naturwissenschaften), die die Schulsysteme in den Ländern zu erfüllen haben. Den einzelnen Bildungsanbietern sollten die Länder dann möglichst viel Autonomie darin geben, mit welchen Mitteln sie die vordefinierten Standards erfüllen. Entscheidend ist, dass zwischen den Bildungsanbietern Wettbewerb herrscht. Die Länder sollten in ihren jeweiligen Geltungsbereichen einen entsprechenden Wettbewerb sicherstellen. Fairer Wettbewerb sollte dabei nicht nur zwischen öffentlichen Bildungsanbietern herrschen, sondern auch zwischen öffentlichen und privaten Bildungsanbietern. Neuere empirische Studien liefern Evidenz dafür, dass Wettbewerb zwischen Bildungsanbietern bessere Schulleistungen hervorbringt. Auch die Bildungsangebote öffentlicher Bildungseinrichtungen verbessern sich, wenn sie im Wettbewerb zu privaten Anbietern stehen.[3]

Empfehlungen

Bund und Länder sollten gemeinsam Verantwortung für die Schulbildung tragen. Auf diese Weise können fiskalische Externalitäten internalisiert werden, die sich durch die Finanzierung der Bildung im Föderalstaat ergeben. Der Wettbewerbscharakter des Föderalismus wird dadurch nicht notwendigerweise geschwächt. Im Gegenteil, nationale Standards, die zentral definiert und durchgesetzt, aber dezentral von öffentlichen und privaten Bildungsanbietern erfüllt werden, tragen zu einem besseren und faireren Wettbewerb in der Schulbildung bei.

Insofern ist zu begrüßen, dass sich der Bund durch die geplante Änderung von Artikel 104c GG stärker an der Finanzierung der Schulbildung beteiligt. Die geplante Änderung ist aber vor dem Hintergrund der genannten Argumente unzureichend. Fiskalische Externalitäten begründen weder eine zeitlich befristete noch eine degressiv ausgestaltete Finanzierungsbeteiligung des Bundes. Auch eine sachliche Beschränkung der Finanzierung auf die Bildungsinfrastruktur lässt sich daraus nicht ableiten.

Das Vorliegen fiskalischer Externalitäten spricht vielmehr dafür, dass sich der Bund dauerhaft an der Finanzierung der Schulbildung beteiligt. Zugleich sollte er Steuerungsrechte insbesondere in der Definition und Durchsetzung von nationalen Bildungsstandards erhalten, um einen wohlfahrtsfördernden Wettbewerb zwischen den Bildungsanbietern zu erreichen. Durch entsprechende Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern ist gegebenenfalls sicherzustellen, dass die Länder Landesmittel nicht durch Bundesmittel ersetzen.

 

Fußnoten

[1]  In der Tat variieren die Schulleistungen zwischen den deutschen Ländern zum Teil erheblich. Zu Schulleistungsunterschieden und ihre Interpretation siehe im Detail Bruckmeier, Fischer und Wigger (2014).

[2] In der Vergangenheit wurde gelegentlich argumentiert, dass die Länder auch bei den Ausgaben für die Hochschulbildung Trittbrett fahren. Eine neuere Studie mit aktuellen Daten zeigt aber, dass die Länder die Hochschulbildung inzwischen eher als strategische Variable im Wettbewerb um qualifizierte Schulabgänger einsetzen; siehe dazu Fischer und Wigger (2016). Für die Schulbildung liegt meines Wissens keine gesicherte Evidenz darüber vor, ob die Länder wechselseitig Trittbrett fahren oder die Schulbildung als strategische Variable im Standortwettbewerb einsetzen.

[3]  Im Detail siehe Kronberger Kreis (2013).

 

Literaturangaben

Bruckmeier, K., G.-B. Fischer und B.U. Wigger (2014), Schulleistungsunterschiede zwischen den deutschen Ländern, Wirtschaftsdienst, 94, 439-443.

Kronberger Kreis (2013), Bildungsfinanzierung neu gestalten, Studien des Kronberger Kreises Nr. 56, Stiftung Marktwirtschaft (Hrsg.), Berlin.

Fischer, G.-B. und B.U. Wigger (2016), Fiscal Competition and Higher Education Spending in Germany, German Economic Review, 17, 234-252.

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