Ob „solidarisch“ oder bedingungslos: Das Grundeinkommen ist gefährlich heiße Luft

Michael Eilfort

Kernaussagen

  • Das „solidarische“ Grundeinkommen, das der Berliner Senat nun testen will, führt zu einer weiteren Aushöhlung des Föderalismus und gefährdet den Motor der Agenda 2010, die maßgeblich dazu beigetragen hat, dass Deutschland wirtschaftlich so gut dasteht.
  • Anstatt in dieser konjunkturell guten Zeit – nach vielerlei Ausgabensteigerungen im Sozialbereich – noch mehr strukturelle Lasten zu schultern, sollte es das primäre Ziel bleiben, auf den ersten Arbeitsmarkt hin zu fördern und zu fordern.
  • Die Gefahr, dass die Digitalisierung Millionen Arbeitsplätze vernichten wird – was es mit einem Grundeinkommen vermeintlich aufzufangen gelte – besteht nicht. Allerdings droht die Gefahr, dass ein „solidarisches“ Grundeinkommen private Arbeitgeber durch staatliches Einmischen verdrängt und ehrenamtliche Arbeit entwertet.

Jetzt ist es soweit: der Berliner Senat will 2019 in einem Pilotversuch das solidarische Grundeinkommen testen. Auch wenn es gut gemeint klingen mag, Hartz-IV-Beziehern auf einem staatlich organisierten, parallelen Arbeits“markt“ gemeinnützig zum Mindestlohn zu beschäftigen, sprechen mindestens zehn Gründe gegen den sozialpolitischen Versuchsballon des Regierenden Bürgermeisters von Berlin:

Erstens: Der Föderalismus würde weiter ausgehöhlt. Das „Nehmerland“ Berlin propagiert neue Ausgaben, die am Ende am Bund hängenblieben. Die Tätigkeiten aber, die belohnt werden sollen, fänden auf regionaler und kommunaler Ebene statt, z.B. in Schulen. Ausgaben- und Aufgabenverantwortung fielen noch weiter auseinander.

Zweitens: Es gibt am bestehenden System einiges zu kritisieren. Aus Unzufriedenheit mit der Hartz-Bürokratie resultiert auch der (vor)schnelle Zuspruch für ein Grundeinkommen, ob „solidarisch“ oder bedingungslos. Trotzdem sollte die Kirche im Dorf bleiben: Hartz bzw. die Agenda 2010 haben großen Anteil daran, dass es Deutschland wirtschaftlich so gut geht, dass seit 2005 die Arbeitslosigkeit insgesamt wie auch die Zahl der Langzeitarbeitslosen glatt halbiert werden konnte. Diesen Erfolg vervollständigt nicht, wer seinen Motor stilllegt.

Drittens: Unser Sozialstaat ist eine große Errungenschaft und Garant sozialen Friedens. Er setzt voraus, dass bei den Steuerzahlern Konsens über seine Finanzierung besteht – die nur nachhaltig bleibt, wenn tatsächlich Bedürftigen geholfen wird. Zur Prüfung der Bedürftigkeit aber gehört nun einmal Bürokratie. Sie entspricht dem deutschen Streben nach Einzelfallgerechtigkeit. So sehr manche es als Gängelung empfinden: Wer Hilfe der Allgemeinheit in Anspruch nimmt, muss den Blick darauf ertragen, ob er diese zu Recht erhält.

Viertens: Berlins Bürgermeister begründete seinen Vorschlag, der als „vernünftig gemachtes, realitätsnahes Grundeinkommen“ einem gerösteten Schneeball gleichkommt, mit dem Satz „Das Geld ist da“. Und wenn die Zinsen steigen, die Wirtschaft kriselt und die öffentlichen Haushalte auch wegen der Demographie wieder unter Druck geraten? Was sollte uns jetzt dazu bringen, in konjunkturell guter Zeit nach vielerlei Ausgabensteigerungen im Sozialbereich noch mehr strukturelle Lasten zu schultern, anstatt in Zukunft und echte Arbeit zu investieren?

Denn, fünftens: Mit Sepp Herberger gilt: „Entscheidend ist auf dem Platz“ – und das ist der erste Arbeitsmarkt. Auf ihn hin zu fördern und zu fordern, muss das primäre Ziel bleiben. Der Chef der Bundesagentur für Arbeit sieht bei rund 845.000 Langzeitarbeitslosen derzeit bis zu 150.000, die für einen sozialen Arbeitsmarkt infrage kämen, weil sie es auf dem ersten Arbeitsmarkt zu schwer hätten. Wieso sollte man deshalb gleich das ganze System auf den Kopf stellen?

Sechstens: Die Aufnahme in eine Art „Staatsdienst light“ mag helfen, an einen geregelten Arbeitsalltag nicht mehr Gewöhnte einzugliedern. Die Fehlanreize an anderen Stellen sind indes womöglich schwerwiegender: Worin sollen eigentlich die staatlich verwalteten und subventionierten „gemeinnützigen Tätigkeiten“ bestehen? Wer beaufsichtigt sie? Wie will man verhindern, dass private Arbeitgeber durch staatliches Einmischen verdrängt werden oder ehrenamtliche Arbeit entwertet wird, wenn die öffentliche Hand für vergleichbare Tätigkeiten zahlt?

Siebtens: Das Problem der hohen Transferentzugsrate löst auch das „Modell Müller“ nicht: Wie groß ist die Versuchung, lieber nicht 39 Stunden tätig zu sein, wenn am Ende ein nur rund 20 Prozent höheres Netto“einkommen“ als bei nicht arbeitenden Hartz-IV-Empfängern herauskäme?

Achtens: Wir diskutieren nichts Neues, nur neu über alte heiße Luft. In den 1990ern schönte Norbert Blüm die Arbeitslosenzahlen, indem hunderttausende Arbeitslose in – damals zeitlich wenigstens befristet – „Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen“ untergebracht wurden. Die erhoffte Ausgangsbasis für reguläre Beschäftigung wurden diese in den seltensten Fällen. Stattdessen wurden entweder sinnfreie Tätigkeiten verrichtet oder sinnvolle reguläre Jobs verdrängt.

Neuntens: Der Abstand zwischen dem „solidarischen“ und dem bedingungslosen Grundeinkommen ist geringer, als es scheint. Das eine mag schnell zum anderen führen: Wenn jemand für 39 Stunden wöchentlich Laubharken 1500 Euro im Monat bekommt, der andere aber vom Arzt zertifiziert „Rücken hat“: Wie lange ertragen wir es, dass er „unverschuldet“, wie es heißen wird, bei Hartz IV stehenbleibt? Wie schnell kommt dann das Grundeinkommen für alle – eben bedingungslos?

Abschließend, zehntens: Ein wesentlicher Förderer aller Grundeinkommensdiskussionen ist die Annahme, die Digitalisierung werde als disruptive Kraft Millionen Arbeitsplätze vernichten und die Sozialsysteme auf den Kopf stellen. Bisher aber hat jede Innovation zwar Wandel und auch Verlierer mit sich gebracht, am Ende indes unter dem Strich mehr Arbeit und mehr Wohlstand bedeutet. Also: Wir sollten Chancen nutzen, statt uns auf die Risiken zu fixieren und ins Grundeinkommen „hinein zu jammern“.

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