Die Zukunft nicht verschlafen

Kronberger Kreis

(Lars P. Feld, Clemens Fuest, Justus Haucap, Heike Schweitzer, Volker Wieland, Berthold Wigger)

Kernaussagen

  • Die abgebrochenen Sondierungsgespräche zwischen CDU, CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen lassen Deutschland politisch weiter „dösen“.
  • Dabei stehen die Bundesrepublik und Europa vor gewaltigen Herausforderungen: Digitalisierung, demografischer Wandel, Migration und die Zukunft der Eurozone sind nur einige offene Punkte, die konsequent angegangen werden sollten.
  • Der Kronberger Kreis, wissenschaftlicher Beirat der Stiftung Marktwirtschaft, formuliert u.a. folgende Reformkonzepte: Die Schaffung einer Digitalisierungskommission nach Vorbild der Deregulierungskommission Anfang der 1990er Jahre, Entlastungen in der Einkommens- und Unternehmensbesteuerung, dynamisierte Anpassungen des Renteneintrittsalters, eine marktwirtschaftlich gewendete Energiewende sowie eine Wiederbelebung des europäischen Integrationsprozesses basierend auf den Grundprinzipien von Subsidiarität und Marktdisziplin.

In der Debatte über die künftige Bundesregierung stehen derzeit die gescheiterten Jamaika-Sondierungsgespräche und die Interessen einzelner Parteien und Personen im Mittelpunkt. Dabei besteht die Gefahr, dass die eigentlich entscheidende Frage, welche Reformen Deutschland braucht, in den Hintergrund gedrängt wird. Es ist daher an der Zeit, sich wieder auf Sachfragen zu konzentrieren. Gerade auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik gibt es eine Reihe von zentralen Politikbereichen, in denen dringender Handlungsbedarf besteht. Gleichzeitig sind im Bundestagswahlkampf und in den Sondierungsgesprächen Vorschläge gemacht worden, deren Umsetzung ökonomisch mehr schaden als nutzen würde.

Chancen der Digitalisierung nicht verspielen

An erster Stelle steht das Thema Digitalisierung. Die Digitalisierung der Wirtschaft vollzieht sich zwar mit großen Schritten. In Deutschland wird diese Entwicklung aber eher als Störung empfunden, als dass darin Chancen für die Lösung drängender Zukunftsprobleme erkannt werden. Digitalisierung wird vor allem als Bedrohung gesehen, die den Bürger dem Datenhunger mächtiger IT-Firmen wie Amazon und Google ausliefert. Entsprechend haben politische Maßnahmen zur Digitalisierung in jüngerer Zeit dazu beigetragen, die Digitalisierung durch Verbote einzudämmen, statt ihre Entwicklung zu fördern. Entgegen dem Eindruck in der Öffentlichkeit ist der Rückstand Deutschlands in der Digitalisierung nicht auf der Angebotsseite, etwa einem unzureichenden Breitbandausbau, zu suchen. Der Rückstand findet sich vielmehr auf der Nachfrageseite, beispielsweise im fehlenden sogenannten Take-up von Breitbanddiensten. Deutschland liegt im Index für digitale Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt auf dem 11. Platz (vgl. Abb. 1). Bei der Inanspruchnahme von schnellem Festnetz- und Mobilfunkbreitband befindet sich Deutschland jeweils nur auf Platz 21.

Abb. 1: Rangfolge nach dem Index für digitale Wirtschaft und Gesellschaft (DESI) 2017

Quelle: Europäische Kommission.

Ein wesentlicher Grund für die Nachfrageschwäche sind strikte und oftmals innovationsfeindliche Regulierungen vieler digitaler Dienste. Sinnvoll wäre es, eine Digitalisierungskommission nach Vorbild der Deregulierungskommission Anfang der 1990er Jahre einzurichten, die eine systematische Gesamtbetrachtung der verschiedenen für die Digitalisierung relevanten Rechtsbereiche vornimmt und Reformbedarfe identifiziert, die in eine kohärente und innovationsoffene digitale Reformagenda münden.

Solide Finanzpolitik betreiben

Im Bereich der Staatsfinanzen besteht ebenfalls Reformbedarf, trotz der aktuell guten Lage, in der sich die öffentlichen Haushalte befinden. Diese Lage hat innerhalb Deutschlands allerlei Begehrlichkeiten geweckt. Auch von außen werden Wünsche an Deutschland herangetragen, die auf mehr Ausgaben und eine höhere Staatsverschuldung hinauslaufen. So soll Deutschland mit höheren Ausgaben für die Infrastruktur Impulse liefern für die europäische Konjunktur und außerdem eine oft deutlich überzeichnete Lücke bei den Infrastrukturinvestitionen schließen. Angesichts des konjunkturellen Aufschwungs nicht nur in Deutschland, sondern in Europa insgesamt, käme freilich ein zusätzlicher Konjunkturimpuls aus Deutschland zur Unzeit. Und ob es tatsächlich eine signifikante Investitionslücke bei der öffentlichen Infrastruktur gibt oder diese eher herbeigeredet wird, ist umstritten.

Tatsächlich ist die gute Finanzlage der öffentlichen Haushalte in Deutschland nicht das Ergebnis einer übermäßig restriktiven Ausgabenpolitik, wie oft behauptet wird. Staatskonsum, staatliche Transfers und staatliche Investitionen wurden in den vergangenen vier Jahren sogar erheblich ausgeweitet. Die Überschüsse in den öffentlichen Kassen sind hauptsächlich Folge niedriger Zinsausgaben und hoher öffentlicher Einnahmen. Angesichts steigender Belastungen, die auf die öffentlichen Haushalte in Deutschland zukommen werden (Integration von Flüchtlingen, innere und äußere Sicherheit, demografischer Wandel, etc.), ist deshalb bei den Staatsausgaben Zurückhaltung angebracht.

Steuerentlastungen effizient gestalten

Statt zusätzliche öffentliche Ausgaben auf die Agenda zu setzen, sollte sich die Finanzpolitik mit der Einnahmeseite befassen. Die Einkommensteuerbelastung ist im mittleren Einkommensbereich stark anreizfeindlich. In diesem Einkommensbereich ist die effektive Grenzbelastung von Einkommen, die sich aus dem Zusammenspiel von Steuern, Sozialversicherungsbeiträgen und Transfers ergibt, besonders hoch. Entlastungen würden die Arbeitsangebotsanreize deutlich verbessern. Hier sollte eine spürbare Entlastung stattfinden.

Eine solche steuerliche Entlastung der mittleren Einkommen könnte sich beispielsweise an den seit dem Jahr 2009 aufgelaufenen Zusatzeinnahmen aus der Kalten Progression orientieren, die den Steuerzahlern bislang nur zu einem geringen Teil zurückgegeben wurden. Seit 2009, dem letzten Jahr einer größeren Tarifreform, belaufen sich diese Mehreinnahmen auf etwas mehr als 30 Mrd. Euro. Eine solche Tarifreform sollte zusammen mit der Abschaffung des Solidaritätszuschlags zu einem Gesamtpaket führen, das zu keinen Mehrbelastungen der Einkommensteuerzahler führt und den Bund nicht allein belastet, sondern einen Beitrag der Länder vorsieht.

Sie sollte also nicht mit Steuererhöhungen in oberen Einkommensbereichen verbunden sein. Vergessen wird allzu oft, dass die Gewinne der Personengesellschaften und Einzelunternehmer der Einkommensteuer unterliegen, sodass Steuererhöhungen dort zu negativen Investitionsanreizen führen. Überhaupt sollte die Unternehmensbesteuerung wieder stärker in den Fokus der Steuerpolitik rücken. Deutschland hat seine steuerliche Wettbewerbsposition international vor allem wegen steigender Gewerbesteuerhebesätze verschlechtert. Bei der Besteuerung von Unternehmensgewinnen gehört Deutschland inzwischen wieder zur Gruppe mit der höchsten Belastung unter den OECD-Ländern (vgl. Abb. 2). Dabei wird sich der internationale Steuerwettbewerb aufgrund des Brexit und nach der anstehenden Steuerreform in den USA weiter intensivieren. Deutschland könnte dieser Entwicklung mit einer Herstellung der Finanzierungsneutralität der Besteuerung etwa über eine Zinsbereinigung des Grundkapitals begegnen. Eine Senkung des Solidaritätszuschlags würde die Gewinne der Personen- und der Kapitalgesellschaften ebenfalls entlasten.

Abb. 2: Tarifliche Gewinnsteuersätze im internationalen Vergleich1 (in Prozent)

Quelle: Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

Von der Wiedereinführung einer allgemeinen Vermögensteuer ist dagegen dringend abzuraten. Sie würde implizit zu einer deutlichen Zusatzbelastung auf Kapitalerträge führen und Deutschland als Unternehmensstandort erheblich schwächen. Die meist mit Gerechtigkeitsargumenten motivierte Vermögensteuerdiskussion geht an der Tatsache vorbei, dass das Steuer-und Transfersystem in Deutschland bereits jetzt einen starken Ausgleich zwischen ärmeren und reicheren Bevölkerungsschichten bewirkt.

Bessere Bildung und Chancengleichheit statt mehr Umverteilung

Beim Thema Ungleichheit von Einkommen und Vermögen besteht ein Kontrast zwischen teils alarmistischen Berichten in den Medien und den eher unspektakulären Fakten. Deutschland weist im internationalen Vergleich eine geringe Ungleichheit der verfügbaren Einkommen auf (vgl. Abb. 3). Die bestehende Ungleichheit hat sich in den vergangenen Jahren zudem kaum verändert. Betrachtet man statt der verfügbaren Einkommen die Lebenszufriedenheit, so hat die Ungleichheit in Deutschland in den letzten Jahren sogar abgenommen. Das hat insbesondere mit der guten Entwicklung am Arbeitsmarkt zu tun. Damit zeigt sich erneut, dass ein guter Zugang zum Arbeitsmarkt eine zentrale Voraussetzung für soziale Teilhabe breiter Bevölkerungsschichten darstellt. Damit das auch in Zukunft so bleibt, sind insbesondere weitere Anstrengungen in der Bildung notwendig, sodass Angehörige aus allen sozialen Schichten eine angemessene Qualifikation erwerben können. Weiterer Umverteilungsinstrumente bedarf es dazu nicht.

Abb. 3: G7-Staaaten– Ungleichheit der verfügbaren Einkommen (Gini-Koeffizient 2014)


Quelle: OECD.

Die Rente nachhaltig finanzieren

Ähnlich wie die Ungleichheit wird das Thema Altersarmut in den Medien skandalisiert. Die dort entwickelten Bedrohungsszenarien passen allerdings weder zum aktuellen noch zum künftigen Umfang der Altersarmut. Alte Menschen gehören in Deutschland zu den am wenigsten von Armut bedrohten Bevölkerungsteilen. Dennoch sind zur Sicherung des Alterseinkommens Reformschritte in der Gesetzlichen Rentenversicherung nötig. Angesichts der Alterung der Bevölkerung (vgl. Abb. 4) muss insbesondere über eine weitere Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters nachgedacht werden.

Abb. 4: Entwicklung der Altersstruktur der deutschen Bevölkerung

Quelle: Statistisches Bundesamt.

Es empfiehlt sich, das gesetzliche Renteneintrittsalter an die Entwicklung der Lebenserwartung zu koppeln, sodass eine höhere Lebenserwartung automatisch zu einem höheren Renteneintrittsalter führt. Abzulehnen sind dagegen Solidarrentenkonzepte. Diese beinhalten, dass Personen mit langjähriger Versicherungshistorie, aber geringen Rentenansprüchen in der Gesetzlichen Rentenversicherung systematisch besser gestellt werden. Dadurch würde freilich der auf Beitragsäquivalenz beruhende Versicherungscharakter der öffentlichen Alterssicherung, der sich bislang bewährt hat, verloren gehen. Um das Alterseinkommen von Personen, die trotz langjähriger Versicherung in der Gesetzlichen Rentenversicherung nur einen geringen Rentenanspruch haben, über das Niveau der Grundsicherung anzuheben, könnte ein Freibetrag bei der Anrechnung auf die Grundsicherung eingeführt werden, wie er beispielsweise schon für die Riester-Rente gilt. Das ist deutlich sinnvoller als eine Solidarrente.

Energiewende kosteneffizient gestalten

Deutschland hat mit der Energiewende einen Sonderweg eingeschlagen, der von der Energiepolitik anderer Länder deutlich abweicht. Die grundlegenden Ziele der Energiepolitik – Klimaschutz, Versorgungssicherheit und Kosteneffizienz – drohen bei Fortführung des bisherigen Kurses jedoch allesamt verfehlt zu werden. Die auf planwirtschaftliche Maßnahmen, kleinteilige Vorschriften und flächendeckende Subventionen setzende sowie primär national ausgerichtete Umsetzung der Energiewende hat sich als ineffizient und teuer erwiesen und taugt dadurch eher als abschreckendes Beispiel, denn als internationales Vorbild im Kampf gegen den Klimawandel zu dienen.

Die deutsche Energiewende sollte dahingehend weiterentwickelt werden, dass künftig technologie- und sektorspezifische Fördermaßnahmen abgeschafft werden und sich die effizientesten Technologien zur Erreichung der Klimaziele in einem fairen und freien Wettbewerb am Markt behaupten müssen. Mit dem europäischen Emissionshandelssystem (EU-ETS) existiert bereits ein länderübergreifendes Instrument für einen wirksamen Klimaschutz. Durch den Emissionshandel werden externe Kosten internalisiert und zugleich Anreize gesetzt, die Treibhausgase dort zu vermeiden, wo dies kostengünstig möglich ist. Daher sollten die Bemühungen verstärkt werden, weitere Staaten und Sektoren – vor allem den Wärmemarkt und den Verkehrssektor – in das EU-ETS einzubeziehen. Nationale Alleingänge in Europa sind indes nicht in der Lage, Treibhausgasemissionen zu reduzieren, sondern verlagern diese nur auf die Mitgliedstaaten.

Marktdisziplin und Stabilität in Europa stärken

Beim Thema Europa sollte die künftige Bundesregierung insbesondere auf eine weitere Stabilisierung der EWU hinwirken. Ein zentrales Element einer stabilen Währungsunion besteht darin, dass jeder Mitgliedstaat die volle fiskalische Verantwortung für seine Wirtschaftspolitik übernimmt. Droht ein Mitgliedstaat zahlungsunfähig zu werden, so sollte eine geordnete Umschuldung einschließlich einer Inpflichtnahme der Gläubiger die Konsequenz sein, nicht aber die Mithaftung anderer Mitgliedstaaten der Währungsunion. Die Europäische Kommission sollte sich bei der Überwachung der Fiskalpolitik der Mitgliedstaaten nicht von kurzfristigen politischen Opportunitäten leiten lassen, sondern auf eine strikte Einhaltung der Regeln im Sinne der europäischen Verträge bedacht sein. Auch die Europäische Zentralbank hat durch ihr umfangreiches Anleihekaufprogramm zur Weichzeichnung der wirtschaftspolitischen Verantwortung in der Währungsunion beigetragen. Angesichts einer sich aufhellenden Konjunktur in der Eurozone und einer steigenden Inflationsrate ist es höchste Zeit, dass die Europäische Zentralbank eine Strategie für den Ausstieg aus dem Anleihekaufprogramm implementiert.

Insgesamt sollte beim Thema Europa mehr auf Marktdisziplin vertraut werden. Neben der Gläubigerhaftung ist es deshalb erforderlich, die Privilegien aufzugeben, die staatliche Schuldner in der Bankenregulierung genießen. Außerdem sollten die Regeln der Bankenunion wie vereinbart umgesetzt werden sowie Schlupflöcher in diesem Regelwerk geschlossen werden. Zu warnen ist vor einer Europapolitik nach der Devise: weitere Europäisierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik im Tausch gegen mitgliedstaatliche Reformen. Die Mitgliedstaaten, allen voran Frankreich und Italien, sollten aus wohlverstandenem Eigeninteresse Reformen durchführen. Eine ‚Belohnung‘ durch die europäischen Partner erweckt falsche Eindrücke über die Verantwortung für diese Reformen und führt nur zu Streit und Enttäuschungen.

Näheres entnehmen Sie bitte der Studie „Weckruf für die deutsche Wirtschaftspolitik“ des Kronberger Kreises (www.kronberger-kreis.de). Dieser Beitrag ist in anderer Form als Gastbeitrag des Kronberger Kreises in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) am 17.09.2017 erschienen.

2 Gedanken zu „Die Zukunft nicht verschlafen

  1. Dr. Karl V. Ullrich

    Sehr geehrte Damen und Herren,
    die mir vom Walter Eucken Institut in Freiburg zur Verfügung gestellten und in Ihrem Blog veröffentlichten Thesen und Vorschläge haben mich zum großen Teil echt begeistert. Habe allerdings nur die Kurzform gelesen.
    Sie zeigen klar auf, wo unsere Republik und Europa ihre Schwachstellen haben und v.a. auch, wo man ansetzen muss um diese zu beheben und um besser zu werden.
    Wäre es nicht sinnvoll, wenn sich Menschen mit solchen Gedanken mehr in die aktive Politik einbringen würden?
    Mit besten Grüßen
    Dr. Karl V. Ullrich, Vorstand Verband der Freunde der Universität Freiburg
    Stephanienstr. 9, 79100 Freiburg Tel. 0761 – 753 51

  2. Landwehr, Herbert

    Das politische Vakuum in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen auf deutscher Seite wird Jahre andauern, denn der französische Vorteil einer liberalen Stimme wird innerhalb der EU angenommen werden. Deutschland hat so gut wie keine Vorbildfunktion mehr, weder in Umweltfragen, Haushaltspolitik (fehlerhafte Verwendung von Sozial- und Steuereinnahmen), Investitionspolitik( in modernen Kommunikations- und Prozessabläufe), Bürokratieabbau, flexible Rentensicherung, Sicherung der Grundlagen einer arbeitsteiligen Wirtschaft als soziale Marktwirtschaft,
    Kontrolle der Exekutive.

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