Studiengebühren haben keine nachteiligen Auswirkungen auf die Anzahl der Einschreibungen an deutschen Hochschulen

Berthold U. Wigger

Kernaussagen

  • Aufgrund starker Widerstände haben 2014 auch die letzten verbliebenen Bundesländer die Studiengebühren abgeschafft, die sie in den Jahren 2006 und 2007 eingeführt hatten.
  • Ein entscheidendes Argument hierfür war die Behauptung, dass sich Studiengebühren nachteilig auf die Anzahl der Einschreibungen an Universitäten auswirken würden. Studiengebühren in Deutschland wiesen jedoch keine Auswirkungen in dieser Form aus, obwohl genau dieses Argument wichtige Grundlage für die Abschaffung der Gebühren war.
  • Die deutsche Erfahrung zeigt, dass Studiengebühren nicht zwangsläufig Studierende abschrecken, wenn die Gebühren erstens eher niedrig ausfallen, zweitens mit einem angemessenen öffentlichen Studienkreditprogramm verbunden werden und drittens deren Erhebung entfällt, wenn bestimmte soziale Kriterien wie ein einkommensschwacher Familienhintergrund vorliegen.

Angesichts heftiger Widerstände haben alle deutschen Bundesländer die Studiengebühren wieder abgeschafft, die sie in den Jahren 2006 und 2007 eingeführt hatten. Berthold U. Wigger erläutert die Ergebnisse seiner neuesten Studie über die Auswirkungen von Studiengebühren auf die Anzahl eingeschriebener Studenten an deutschen Hochschulen. Er findet heraus, dass Studiengebühren – entgegen der Erwartungen – keine nachweisbaren negativen Auswirkungen auf die Übergangsraten von der Schule zur Hochschule in Deutschland hatten. Die deutsche Erfahrung zeigt, dass Studiengebühren nicht zwangsläufig potenzielle Studenten abschrecken. Solange die Gebühren relativ niedrig ausfallen, mit einem effektiven Studentenkreditprogramm kombiniert werden und Ausnahmen für Studenten aus einkommensschwachen Familien gemacht werden, schrecken Studiengebühren niemanden ab.

Über die Frage, ob Studenten für ihre Hochschulbildung zahlen oder diese umsonst erhalten sollten, wird ständig debattiert. Befürworter von Studiengebühren weisen darauf hin, dass Studenten die Hauptbegünstigten einer Hochschulbildung sind und nach ihrem Abschluss Zugang zu hoch bezahlten Arbeitsplätzen haben. Kritiker argumentieren dagegen, dass Studiengebühren einen negativen Effekt auf die Anzahl der Einschreibungen an Hochschulen auslösen, was sich wiederum negativ auf die ökonomische Entwicklung und die allgemeine Fairness eines Bildungssystems auswirkt.

Während es sich schwerlich bestreiten lässt, dass Studenten von gebührenfreier Bildung profitieren, ist die Frage, ob Studiengebühren den Zugang zu Hochschulbildung negativ beeinträchtigen, wesentlich komplexer. Praktischerweise hat sich Deutschland selbst zu einem formidablen Experimentierfeld zur Beantwortung dieser Frage gemacht. Die jüngste Einführung und Wiederabschaffung von Studiengebühren in einigen Bundesländern gleicht einem natürlichen Experiment, das sich bestens dazu eignet, die Auswirkungen von Studiengebühren auf die Übergangsraten von der Schule zur Hochschule empirisch zu untersuchen.

Die deutsche Erfahrung mit Studiengebühren: Haben Gebühren eine Abschreckungswirkung entfaltet?

Hochschulbildung an öffentlichen Universitäten in Deutschland war bis 2005 gebührenfrei. Dies änderte sich nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, welches festlegte, dass Studiengebührenpolitik Sache der Länder sei und nicht durch ein Hochschulrahmengesetz bundeseinheitlich verboten werden könne. Zwischen 2006 und 2007 führten sieben von sechzehn Bundesländern Studiengebühren von rund 1.000 Euro pro Jahr ein. Diese wurden allerdings aufgrund starker politischer Widerstände in allen Bundesländern nach kurzer Zeit wieder abgeschafft. Inzwischen ist die Hochschulbildung an allen öffentlichen Universitäten in Deutschland wieder gebührenfrei ist.

In den meist studentisch organisierten Anti-Studiengebühren-Kampagnen wurden die angeblich negativen Auswirkungen von Studiengebühren auf Studienanfänger als ein Hauptargument angeführt. Tatsächlich scheinen empirische Nachweise aus anderen Ländern diese Vorbehalte zu belegen. Analysen von Studiengebühren in den Vereinigten Staaten und im Vereinigten Königreich legen nahe, dass eine Erhöhung der Studiengebühren um 1.000 Euro die Anzahl der Einschreibungen von Abiturienten an Hochschulen um 2,5 bis 5 Prozent verringert. Einige frühere Studien, die versucht haben, die Auswirkungen von Studiengebühren auf die Anzahl von Einschreibungen in Deutschland nachzuweisen, unterstützen diese Ansicht. Sie fanden stets eine negative Beziehung zwischen Studiengebühren und der Anzahl von Einschreibungen in ähnlichen Ausmaßen.

Trotz dieser Gemeinsamkeiten mit den Studien aus den Vereinigten Staaten und dem Vereinigten Königreich überrascht die Schlussfolgerung, dass die Einführung von Studiengebühren in Deutschland erhebliche negative Auswirkungen auf die Anzahl von Einschreibungen gehabt haben soll. Dies liegt daran, dass sich der deutsche Fall sowohl vom britischen als auch vom amerikanischen Fall wesentlich unterscheidet. Erstens fielen die Studiengebühren in Deutschland vergleichsweise gering aus. Zweitens wurde die Einführung der Studiengebühren von einem sehr umfangreichen und großzügigen öffentlichen Studentenkreditprogramm begleitet. Drittens wurde ein bedeutsamer Anteil von Studenten aufgrund bestimmter sozialer Kriterien von den Gebühren befreit. Viertens schließlich hatten Schulabsolventen weiterhin die Möglichkeit, kostenfrei in Deutschland zu studieren, da nur sieben von sechszehn Bundesländern Gebühren eingeführt hatten. Alle diese Argumente deuten darauf hin, dass etwaige Auswirkungen der Einführung von Studiengebühren kleiner sein müssten als die in den Vereinigten Staaten oder im Vereinigten Königreich.

Angesichts dieser Überlegungen haben wir erneut die Auswirkungen von Studiengebühren auf die Anzahl eingeschriebener Studenten in Deutschland in einem neuen Paper untersucht. Wir sind früheren Arbeiten gefolgt und haben die Auswirkungen der Einführung von Studiengebühren als ein natürliches Experiment behandelt, in dem die Bundesländer, die die Gebühren einführt hatten, die Beobachtungsgruppe und die Bundesländer, die dies nicht getan hatten, die Kontrollgruppe darstellen. Allerdings haben wir die bisherige Forschung um drei wichtige Aspekte erweitert. Erstens haben wir die institutionellen Unterschiede zwischen den Bundesländern genauer untersucht, um deren bundeslandspezifische Auswirkungen zu erkennen zu können. Zweitens haben wir umfassend die Tatsache berücksichtigt, dass die Studiengebühren in den verschiedenen Bundesländern zu unterschiedlichen Zeitpunkten eingeführt und abgeschafft wurden. Drittens haben wir unterschiedliche Trends in der Anzahl neuer Abiturienten in beiden Gruppen berücksichtigt.

Die verschiedenen Trends in den Abiturientenzahlen spielen eine zentrale Rolle für die unterschiedlichen Übergangsraten von der Schule zur Hochschule in den Bundesländern. Sie sind den unterschiedlichen demographischen Entwicklungen der östlichen und westlichen Regionen zuzuschreiben. In den östlichen Bundesländern sind die Geburtenraten nach der Wiedervereinigung stark gesunken. Da die Jahrgänge, die zur Zeit der Wende geboren wurden, die Hochschulzugangsberechtigung 2008 oder später erworben haben, kam es zu einem überproportionalen Rückgang von Abiturienten in den östlichen Bundesländern just in dem Moment, in dem einige Bundesländer Studiengebühren einführten. Nun wird die Kontrollgruppe von östlichen und die Beobachtungsgruppe von westlichen Bundesländern dominiert. Deshalb schlagen sich die unterschiedlichen Trends in den Abiturientenzahlen in negativen Effekten von Studiengebühren auf die Übergangsraten von der Schule zur Hochschule nieder, wenn für diese Trends nicht eigens kontrolliert wird. Die negativen Effekte sind dann aber nichts anderes als Scheinkorrelation.

Wir zeigen, dass Studiengebühren keinen messbaren negativen Effekt auf die Anzahl der Einschreibungen auslösen, wenn institutionelle Unterschiede und insbesondere unterschiedliche demographische Trends in den Bundesländern angemessen berücksichtigt werden. Die Annahme eines solchen Effekts war indessen das Hauptargument für die Abschaffung von Studiengebühren. Unsere Ergebnisse legen nahe, dass diese Annahme keine belastbare empirische Grundlage hatte.

Alles in allem können zwei Schlussfolgerungen aus unserer Studie gezogen werden: eine spezifische und eine allgemeine. Die spezifische Schlussfolgerung ist, dass die Einführung von Studiengebühren in einigen deutschen Bundesländern von rund 1.000 Euro pro Jahr keine messbare Abschreckung für Abiturienten dargestellt hat, sich an einer deutschen Hochschule zu immatrikulieren. Die allgemeine Schlussfolgerung ist, dass es stark vom institutionellen Umfeld abhängt, ob Studiengebühren eine solche Abschreckung entfalten. Das deutsche Experiment legt nahe, dass es zu keiner Abschreckung kommt, wenn die Studiengebühren erstens eher niedrig ausfallen, zweitens mit einem angemessen öffentlichen Studienkreditprogramm verbunden werden und drittens nicht erhoben werden, wenn bestimmte soziale Kriterien wie ein einkommensschwacher Familienhintergrund vorliegen.

3 Gedanken zu „Studiengebühren haben keine nachteiligen Auswirkungen auf die Anzahl der Einschreibungen an deutschen Hochschulen

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  2. M. Stiebner

    Wenn, das ist diese Bürokratendenke, die uns hier hin gebracht hat. Natürlich haben Studiengebühren einen negativen Einfluss auf die Zahl der Einschreibungen. Das wird statistisch verschleiert, indem man mit Bürokratie und Spionage in die finanziellen Verhältnisse der Studierenden eindringt und sie zu dem erzieht, was sie nach rational unverantwortlicher Staatsdoktrin lernen sollen, Schulden zu machen. Darum geht es doch bei Studienkrediten, Bürokratie erdulden und Schulden zu machen lernen. So behandelt man Wissen, die Grundlage von absolut allem. Das ist dumm und ärmlich.
    Wissen muss frei sein, sonst wird immer ein Teil ausgeschlossen. Mehr dazu— [Link von der Redaktion entfernt.] Wie das finanzierbar ist, ist ebenfalls beschrieben. Ich würde ergänzen, dass Wissen auch unbürokratisch sein muss, weil die Bürokratie auch viele abschreckt. Ich habe im Ausland studiert und bin gleich dort geblieben, weil ich mir diese deutsche Studienbürokratie und die Verschuldung nicht antun wollte. Das haben viele so gemacht wie ich. Auch weil man in Deutschland nicht über seine eigene Altersvorsorge entscheiden kann und vom Gehalt nichts übrig bleibt, dazu auch im PDF. Der Braindrain ist noch da und wenn sich nichts grundlegendes ändert wird sich daran auch nichts ändern.

  3. Justus Well

    Es ist erbitternd, wenn man sieht, wie in unserem Land Familien mit Kindern immer weiter ausgequetscht werden. Studiengebühren entfallen z.B. in Bayern, wenn man noch zwei oder mehr Geschwister hat. D.h. meine älteren Kinder müssen keine Studiengebühren zahlen, weil sie ja noch jüngere Geschwister haben, die jüngeren müssen dann aber Studiengebühren zahlen, weil ihre älteren Geschwister nicht mehr mitzählen, wenn sie ihr Studium bereits abgeschlossen haben und auf eigenen Füßen stehen. Ist das (unter den Geschwistern) gerecht? Nein! Also müssen die Eltern die Studiengebühren für ihre Kinder übernehmen. Also eine weitere Familiensteuer, wo Familien ohnehin auf allen Gebieten, wo viel Geld umgesetzt wird (Steuern, Sozialversicherungen, Wohnungsmarkt) eklatant benachteiligt sind. Da Eltern auch kein stellvertretendes Stimmrecht für ihre unmündigen Kinder haben, wird sich in Deutschland auch nichts mehr daran ändern. Meine teuer aufgezogenen und durchs Studium gefütterten Kinder sollen später die Renten der Kinderlosen zahlen, die natürlich pro Erwachsenem eine volle Rente erworben haben, während meine Frau mit jahrelanger Teilzeitarbeit später eine Rente unter Armutsniveau haben wird. Ich kann meinen Kindern nur raten, in ein Land auszuwandern, in dem Familien nicht als die Melkkühe der Nation angesehen werden. Unsere Lastenverteilung für Familien mit Kindern funktioniert immer noch nach dem System „Kinder kriegen die Leute sowieso“ (K. Adenauer, 50er Jahre). Aber „funktionieren“ ist eigentlich das falsche Wort, denn es funktioniert eben nicht mehr. Einer der Gründe, weshalb es nur noch 1,4 Kinder pro Frau gibt, eine der niedrigsten Quoten weltweit. Gute Eltern zahlen ihren Kindern natürlich die Studiengebühren, damit können sie sich zwar nicht um ihre Altersversorgung kümmern, aber das ist nach allen (materiellen) Entbehrungen, die sie schon die ganze Zeit auf sich genommen haben, auch schon egal. Aber es ist, mit Verlaub gesagt, schwachsinnig, zu schließen, weil die Einschreibezahlen nicht zurückgegangen sind, seien Studiengebühren gerecht.

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